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Frieden im Krieg

Von Kiew nach Rottweil
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Sie empfände ihn mitunter schwer zu tragen, den Alltag im Frieden hier - während in der Heimat Ukraine der Krieg tobt, sagt Wita, die gleich zu Beginn des Krieges mit ihren vier Kindern nach Deutschland floh. Mitten hinein in die Rottweiler Fasnet sind sie damals gekommen. Denys, der Mann meiner ukrainischen Freundin Nadiia, hat sie an der Grenze zu Polen abgeholt und am Fasnetsmontag ´22 in die Stadt gebracht. Unterm Wohnzimmerfenster zog der Narrenmarsch durch. Witas Mann ist freiwillig in der Ukraine geblieben um die Truppen zu unterstützen.

Nach dem Ankommen will man zuerst nur essen und schlafen und schlafen und essen, erzählt sie. Irgendwann weicht die Erschöpfung, und man öffnet sich dem Neuen. Da bleibt dann wenig Zeit für Trauer ums Zurückgelassene.

Nach 8 Monaten im Krieg ist nun auch der Mann und Vater in Deutschland. Die Wiedersehensfreude nach der langen Zeit war riesig, beschreibt sie. Auch er war erschöpft, und er leidet darunter, dass die Freunde und Kameraden an der Front kämpfen, verwundet werden und sterben. Aber Zeit für Schmerz bleibt nicht. Mittlerweile arbeitet er hier für eine ukrainische Firma, und das Neue beansprucht auch ihn voll und ganz.

Es geht ihnen gut, sagt Wita, die sich genau dafür manchmal fast schon schämt – wie kann es gut gehen, wenn die Heimat leidet, wie kann man ohne Schuldgefühl genießen, wo man doch eigentlich auch der Heimat helfen und beistehen will - was aus der Ferne nicht so einfach ist. Ich kann mir diese innere Zerrissenheit gut vorstellen. Es war ja kein leichtes, freudiges Gehen, sondern schwer entschieden unter vermutlich vielen Tränen. Ich will trösten, sie zieht ihre Kinder im Frieden auf und ebnet damit diesem den Weg  – da sagt sie das auch schon selbst. Es mag eine Art Mantra sein - dazu da, die innere Unruhe zu besänftigen. Aber bitte – ein Hoch den Mantren. Es geht ihnen gut, und wenn es das auch mal nicht tut, dann verbietet sie sich selbst zu klagen - sie sind in Sicherheit und haben das Notwendige, und das ist in diesen Zeiten ein großes Glück. Da wird nicht geklagt. Sie wurden gut aufgenommen und unterstützt, die Kinder gegen zur Schule und sind akzeptiert, die Bürokratie kann ein bisschen plagen, aber eben – das nervt, ist aber kein Klagen wert.

Die meisten, die sie kennt, sind geflohen, und zu den Dortgebliebenen scheint der Kontakt ambivalent. Und ich stelle mir vor, dass es schwierig ist sich zu unterhalten, wenn man den Krieg aus so unterschiedlichen Positionen erlebt. Nadiia erzählt, wie seltsam es sie anmutet, wenn die Dortgebliebenen von Theaterbesuchen und Geburtstagfesten erzählen, von dem Bestreben, in diesem Krieg einen Alltag aufrecht zu erhalten. Bestimmt ist alles auf seine eigene Weise schwer – Gehen und Bleiben, die Zerrissenheit aushalten und Kämpfen.

Wir treffen uns an einem Sonntag bei Denys und Nadiia, die mittlerweile in ein Dorf im Umland gezogen sind. Verwandte aus der Ukraine, die mehr oder weniger stationär oder temporär bei ihnen wohnen, und ein paar Bekannte sind noch da. Ich frage, wie es ihnen geht, und einer zählt auf, „der Tochter mittel, dem Sohn gut, der Frau sehr gut“. Die hat gerade die Deutschprüfung geschafft. Da lachen die beiden ukrainischen Freundinnen Wita und Nadiia, und Nadiia scherzt „so sind sie, ihre Männer – so lange die Frau funktioniert, geht es ihr wohl super“.

Einer hat nicht in diesem Krieg gekämpft, wohl aber 2014 in den von Russland besetzten östlichen Gebieten. Er will nicht darüber reden, aber man spürt seine innere Anspannung und den Horror, der ihn erfüllt. Die Russen führen einen grausamen, barbarischen Krieg. Später erzählt Denys von Videos, die vor Allem in den russischen social Media kursieren, in denen die eigene Grausamkeit gefeiert wird. Ich will sie nicht sehen; sie klingen furchtbar.

Bei einer Familie steht fest, dass sie hier bleiben möchte. Wo man früher unbesorgt spielen konnte, sind heute Minenfelder, und das kann man nicht riskieren.

Ob Wita mit ihrer Familie bleiben wird oder zurückkehrt, das steht in den Sternen. Wer weiß schon, was kommt und wohin das alles führt.

Darüber, dass der Krieg ein Versagen der Politik ist, sind wir uns einig. Bei der Definition von Kriegszielen und Wegen zum Frieden wird’s schwieriger.

Aufgeben ist keine Option. Die Ukraine ist nicht russisch und will es nicht sein. Verstehe ich gut. In einem russischen System hat der Einzelne keinen Wert, und wer nicht zu den Großen gehört, ist ihnen ausgeliefert. „Die Machtlosigkeit macht die Leute passiv“ sagt Denys, natürlich nicht alle, aber viele. „Und wer dann Macht hat, missbraucht sie gerne“, sage ich. Ich war noch nie in Russland, aber ich schätze, das ist überall so, und ein mitunter schlecht funktionierender Rechtsstaat ist immer noch besser als ein Land, in dem die Willkür herrscht.

Ein zerschlagenes, entmachtetes und entwaffnetes Russland stellt der sich vor, der früher gekämpft hat - damit die russische Aggression endlich aufhört. Und ich frage mich, wie dieser Krieg sein müsste, um ein solches Ziel überhaupt denkbar zu machen, und ob sie danach wirklich aufhören würde, die Aggression.

„Mit einem Tyrannen kann man nicht verhandeln“, beharrt Nadiia, und Denys mutmaßt, die Aggression würde dann einfach weiter gehen. Vielleicht täte sie das. Putin hätte das Eine bekommen und wollte gleich das nächste. Trotzdem drängt sich mir die Frage auf, ob man dann nicht wenigstens eine andere Grundlage hätte. Wir sehen Putin hierzulande ja erst seit diesem Angriff letzten Februar als Aggressor. Bis dahin ward er konsequent gehandelt als toller Freund und 1a-Geschäftspartner.

Wita sagt, sie kann nicht entscheiden über anderer Leute Leben, darüber, ob man Gebiete einfach überlassen könnte. Ich schweige. Das hat Gültigkeit. Das kann auch ich nicht.

„Ob ICH mir vorstellen könnte, die Heimat einem Tyrannen zu überlassen und zu gehen?“ werde ich gefragt. Ich überlege, „ungern. Aber ja – wenn ein anderes Land mir Rechtsschutz und ein Plätzchen hätte – kann schon sein“. Jeder hat so seine Geschichte. Ich führe den Stellungskrieg von Verdun an, wo eine ganze Generation junger Männer im Kampf um ein paar Kilometer in den Schützengräben blieb. Was ist ein Platz namens „Heimat“ wert? Die Liebe lässt sich mitnehmen. Und das Völkische will man doch überwinden, das war ja gerade die europäische Idee. Aber ich hab leicht reden. Für mich ist das gerade bloßes Fantasieren.Einer muss dringend weg – er hat einen Termin zum Besichtigen einer Wohnung. Ich drücke die Daumen. Aufs Foto will er eh nicht, ungenannt will er bleiben, und auch sonst will niemand so recht fotografiert sein. Und ich mag nicht drängen. Wir anderen beschliessen dieses Sonntagmittagstreffen nach wie vor zerrissen, aber in einem einig: wir wissen nicht, wohin das alles führt. Niemand WILL Krieg, und es hat auch niemand ein Rezept dagegen. Aber erst einmal IST er, und damit müssen alle klarkommen. Aber wie man sich auch immer selbst nennt - Mensch unter Menschen sein, respektiert und geschützt, genügte uns allen vollauf, und als Gemeinschaft sehen wir so einige Probleme, um die man sich kümmern sollte. Die Männer klinken sich aus und wir Frauen reden über diese kleinen und großen Probleme. Solche Frauengespräche sind wundervoll, in Krisenzeiten wie im Frieden, und zusammen sind wir dankbar, dass wir das können – so beisammen sitzen und reden.

Dank aber auch und gerade Denys, der die schwierige Rolle des Übersetzers großartig meisterte.

 



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