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Trauertag

Übers Sterben und über Krieg
copyright Rottweil ist überall

Ein trüber Sonntag im November. Tristesse, die ihren Charme hat.  Ich denke, das ist ein guter Tag für einen Besuch auf dem Friedhof.  

Ich bin mit einer Grabpflege betraut und habe im Keller meiner Eltern eine Kerze gefunden, die ich im Grundschulalter mit buntem Knet beklebt habe. Der Docht ist noch dran. Das passt, denke ich mir. In meinem eigenen Keller ist eine Laterne, in die ich die Kerze stellen kann, und im Radio höre ich, es ist Volkstrauertag. „Er … erinnert an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltbereitschaft und Gewaltherrschaft aller Nationen.“ So steht´s in Wikipedia. Kein schlechter Anlass. Und doch – darf ich das ‚Volks-‘ streichen? Trauertag.

Die Laterne ist ziemlich verstaubt und ich entdecke noch alte Wurzeln vom letzten Jahr, als etwas hineingewachsen ist. Der dürre Trieb hat sich so herumgewunden, dass ich die feinen Fäden gar nicht richtig abbekomme, und auch nach dem Ausfegen ist die Laterne alles andere als blitz und blank. Aber ich muss los, sonst wird es dunkel. Ich packe Laterne und Kerze ein – wo, wenn nicht auf dem Friedhof darf Abgestorbenes sein und dürfen sich Zeichen der Zersetzung zeigen, außerdem sind auf einem Friedhof Erde und Staub ausdrücklich erwünscht, ach, mehr als das – Ziel allen Daseins. Was soll´s also. Ich gehe, vorbei am Kapuziner, wo die Registrierung für eine Stammzellenspende läuft. „Sei Svenjas Held“. Ich selbst bin längst registriert, freue mich aber, dass die Aktion offenbar gut besucht ist. Ich drücke die Daumen, ganz ganz fest. Es nieselt, und ich binde den Schal fester. Auf dem Friedhof liegen frische Kränze vor den Kriegsgräbern und Erinnerungstafeln. So viele Namen.

Eine Tante von mir ist gerade gestorben. Nächsten Dienstag ist im Nordscharzwald Beerdigung. Sie war sehr alt, ihr Leben war gut, das Ende sanft, und so ein Verlauf der Dinge ist leicht zum Annehmen. Trotzdem ist es immer irgendwie arg, wenn jemand stirbt, und ich könnte mir vorstellen, ihr Leben wäre ganz anders verlaufen ohne Krieg. Sie hätte vermutlich geheiratet, hätte Kinder gehabt. Sie wäre eine andere Elli gewesen.

Ich gehe weiter, zünde die Kerze an und stelle die Laterne auf das von mir gepflegte Grab. Ein kurzer Moment, dann streife ich über den Ruhe-Christie-Friedhof, den ich sehr mag. Alte Gräber unter alten Bäumen, alles strahlt eine ungeheure Würde aus. Und fröhliche kleine Meisen hüpfen von Hecke zu Hecke.  Im November wie überhaupt in Vorweihnachts – und Weihnachtszeit fühlen sich die Reiche der Lebenden und der Toten einander viel näher an. Als wäre der Grat dazwischen wie in dem von mir sehr geliebten Film ‚Coco‘ nicht mehr als eine Brücke luftig-leichter, farbenprächtiger Blätter. Der Tag der Toten – Mexiko – bei mir ist er heute und im Ländle. Ich gehe durch die Reihen, betrachte fremde Gräber und stelle mir vor, was von den Begrabenen geblieben ist an Gutem oder Blödem. Ich passiere große Namen. Einer hat die eigene Büste auf dem Grabstein. Wer´s braucht – . Ich find´s ziemlich dick aufgetragen. Manche Grabmale sind martialisch, als wollten sie die Toten darunter gerade noch mal erschlagen, plus darüber hinaus den Lebenden mit  Wucht vor Augen führen, wo der Hammer hängt. Andere sind filigran. Manche elegant. Erdverbunden, oder dem Jenseits zugewandt. Außergewöhnlich und schlicht. Jedes Grab ist anders, und jedes hat eine andere Geschichte. Manche fantasiere ich, andere kenne ich. Einige sind echt traurig. Ich passiere das große Grab eines früheren Oberbürgermeisters, dessen Name seinerzeit nur mit vor Ehrfurcht zittriger Stimme genannt wurde. Das kommt mir heute absurd vor. Bei einigen Namen bin ich überrascht – die hatte ich noch unter den Lebenden gewähnt, die fühlen sich irgendwie noch diesseits an. Aber wer weiß – das ist vielleicht ihr Geist. Ich kehre zurück zur Laterne. Die Kerze brennt gut, und ich sehe entzückt, dass die Meisen die Sonnenblumenkerne gefunden haben, die ich ihnen hingestreut habe. Bisschen Leben in der Reihe. Ich find´s schön. Ich gehe Richtung Ausgang, wieder an den Kriegsgräbern vorbei. Ich zähle grob und rechne zusammen. Fast 1200 Namen, Steine, Zahlen. So viele.

Mächtige gehen widerwärtig lässig mit Kriegen um. Das ist eine seltsame Verachtung fürs Leben. Als wäre nur das eigene was wert. Und dessen völlig konträr wabert durch dieselben Kreise eine ganz absurde Furcht vor dem Tod.

Neulich habe ich gehört – ich hoffe und gehe mal zuversichtlich davon aus, es ist eine fake-news – es gäbe oder solle bald geben ein Medikament, das ein hohes Alter verspricht, 150 Jahre oder was. Das biologisch Unmögliche. Es sei, obwohl billig in der Herstellung, so teuer, dass nur Reiche es sich leisten könnten. Der Gedanke ist krass. Nein. Das glaube nicht. Und doch. Selbst wenn es eine Räuberpistole wäre, nix als Schall und Rauch – ich kann mir gut vorstellen, viele Leute wünschen sich ein solches Wundermittel und wären bereit jeden Preis zu zahlen. Und genauso gut kann ich mir vorstellen, es gibt Leute, die arbeiten daran. Vorstellen kann ich´s mir. Zaubertränke und Jungbrunnen. Die besten Mittel sind die teuersten. Ist ja so neu nicht. An dies Wunder kann man glauben, oder nicht. Kann was dran sein, oder nicht. Und auch darin unterstelle ich nicht nur Angst, sondern seltsame Verachtung fürs Leben. Wie Dagobert Duck auf dem Goldhaufen, Haben Haben Haben und den eigentlichen Schatz gar nicht sehen. Ist ja schön, einer hängt an seinem Leben, aber das steht doch nicht völlig isoliert im Äther, das ist doch verwoben mit anderen, und erst diese mitgedacht wird´s richtig toll. Das Leben soll besser sein – für alle – nicht der Tod später, ohne den zudem die ganze Nummer gar nicht läuft. Der Tod relativiert, und das macht ihn eigentlich ziemlich sympathisch.

Manchmal allerdings ist er ein Scheusal. Und wenn er nicht der Tod wäre, man wünschte ihm den an den Hals.

Uih. Gedanken sind das –  so geht das nicht weiter. Ich muss heim.  Bob Dylan und Kekse, ich zünd ein Kerzlein an und ziehe den Schemel an den Sessel.

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