Ich kann nichts Schlechtes darin sehen, Frieden zu wollen. Ich will den mit den allerbesten Gründen. Auf einer Demo war ich deshalb nicht und habe keine Fahne mit Friedenstaube und Peace-Zeichen geschwenkt, nicht bei der Wagenknecht-Schwarzer-Demo neulich in Berlin, und auch auf keiner anderen. Wie bei Corona stimme ich manchen Forderungen der Proteste zu. Ich habe das Manifest der beiden Frauen unterschrieben, das mit „Wir müssen reden“ betitelt war. Es ist darin nicht die Rede von einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine. Was ich auch schwierig fände. Man hat die Ukraine ja geradezu ins offene Messer laufen lassen – jetzt soll sie sich auch verteidigen können. In dem Manifest geht es um ein Ende der Eskalationsspirale, dieser Kriegstreiberei, die ich auch so empfinde. Das konnte ich mit gutem Gefühl unterschreiben. Zu einer Demo kann ich trotzdem nicht. Ich kann nicht mitgehen, wo man mit Rechten geht.
Vielleicht verkläre ich. Ich weiß es nicht. Ich hatte damals bestimmt eine jugendliche, bisweilen einseitig betrachtende Brille auf. Aber in den 80ern, als es um den Nato-Doppelbeschluss ging, als alle auf der Menschenkette waren und vor den Toren Mutlangens usw, da ging es einfach um dies - um die Stationierung der Mittelstreckenraketen, und keiner hat irgendwelche Banner hochgehalten und Parolen geschmettert, worum es ihm sonst noch so ging. Keiner wollte irgendwas umstürzen, keiner hat gehetzt und polemisiert. Auch auf den Kundgebungen war der Ton ein anderer; Frieden hat sich nach Frieden angehört. Von der Menschenkette fuhren wir Kanon singend nach Hause; die Melodie habe ich immer noch im Ohr.
Heute klingt auch der Wunsch nach Frieden aggressiv. Überhaupt scheint die Zeit mir über jedes verträgliche Maß hinaus aggressiv. Der Umgangston ist vielerorts konsequent barsch und rau. Im Nahverkehrszug habe ich schon halbe Schlägereien erlebt. Im Schulbus geht´s bisweilen zur Sache, fliegen Schulranzen und wird geschubst und gepöbelt. Und wenn der Bub mit seinem Freund auf dem Spielplatz war, kommen sie häufig heim und erzählen von Beschimpfungen, Drohungen und wüstester Anmache.
Als ob mit einem Mal alle verlernt hätten, sich konstruktiv auseinanderzusetzen. Ich versteh´s nicht. Es macht mir auch Angst. Die Warnungen zu mehr Klimaschutz werden immer dringlicher; es geht um ein „Ende der uns bekannten Zivilisation“. Und wir streiten wie die Berserker ums heilig Blechle, um Autobahnen, Schnitzel und Gendersternchen und unterteilen in irgendwelche komischen Völkergrüppchen. Wir Deutsche, die Syrer, die Afrikaner, die Afghanen, die Ukrainer – wir sind halt alles Leute, die ein gutes Leben wollen.
Es ist so absurd. Einigen geht es nach wie vor darum, rauszuholen, was rauszuholen geht. Über die FDP will ich nicht mal mehr den Kopf schütteln. Was die abzieht, spottet jeder Beschreibung. Die träumt von der alles rettenden Technik, die alle Probleme löst, ohne dass irgendwer auf irgendetwas verzichten muss. Traumtänzer! Die überlassen ungerührt den Nachkommen den großen Schock bis hin zu einer gut möglichen totalen Dysfunktion. Das ist wider jedes bessre Wissen gehandelt. Und dann treibt man erstmal Krieg als lebten wir im Mittelalter und die Erde wäre eine Scheibe. Und der liebe Gott wohnt obendrüber und wird es beizeit für die seinen wieder richten.
Wenn dieser Krieg vorbei ist und es um den Wiederaufbau geht, dann hat man nicht die Goldenen Fünfziger. Dann ist man mitten in der Klimakrise und hat mit dieser noch ganz andere Probleme.
Ich habe mich ausgeklinkt; Vogel-Strauß-Prinzip. Im Grunde habe ich gar keine klare Haltung zu diesem Krieg. Ich kann für keine Seite uneingeschränkt sein. Da unterstellt schnell wer „Verrat“ und Sympathien für Putin. Die ich nicht habe. Es geht ja gar nicht immer um Putin. Der ist der Böse in dieser Geschichte. Ganz klar. Aber es geht doch auch ums eigene Handeln und Reden. Und an diesem Punkt kann ich die gegenwärtige Kriegstreiberei nicht richtig finden. Es wird alles ausgeblendet, wo der Westen selbst den Konflikt geschürt hat. Die eigene Unehrlichkeit in der Politik wird untern Teppich gekehrt. Das ist so geheuchelt. Die Nato geriert sich als ein Club der freiheitsliebenden Menschenfreunde, der sich nicht erweitert, sondern nur friedliebend aufnimmt. Das wäre eine hehre Haltung, in der Tat. Wenn sie denn wahr wäre. Dabei ging es in jedem Handeln, in jeder Vereinbarung stets um den eigenen Vorteil, und hat man sich nicht gescheut, einander widersprechende Wege einzuschlagen. Diplomatie scheint mir nicht mehr die Fähigkeit, Wege zu – und miteinander zu finden und Interessenskonflikte friedlich auszugleichen. Diplomatie ist die Kunst der Geheimniskrämerei, unter deren Mantel die Schäfchen ins Trockene gebracht werden. Derweil werden schöne Reden geschwungen, als hätte man Weisheit und Moral mit Löffeln gefressen, und die schöne Idee ist durchs Aussprechen schon Wirklichkeit. Alles Widerstrebende und Unschöne wird geleugnet. Kriegsziele werden, so kommt es mir vor, ständig neu definiert und immer weiter gefasst, und so muss das anscheinend sein, und alles ist alternativlos. Diese „Alles oder nichts“-Haltung, die ist mir zu arg. Die lässt ja nichts anderes zu als kriegerische Auseinandersetzung bis zum bitteren Ende. Und das ist halt auch oft – ein bitteres Ende.
Ich weiß nicht, ob das Ende dieses Krieges genau das sein wird, das man sich in der Ukraine erhofft. Kommt darauf an, wie viel man bereit ist in die Waagschale zu werfen vielleicht. Ich weiß es nicht. Und ich habe den Eindruck, es wird auch nicht darüber nachgedacht - über andere Wege, und welcher Preis wofür gerechtfertigt ist. Die Eskalation läuft, und die Politik scheint ihr bereitwillig nachzugeben. Und wenn wer Ängste und Zweifel äußert, heißt es „das getraut er sich eh nicht“ - der Putin. Was, wenn doch? Was, wenn´s am Ende egal ist, weil das Ende sowieso immer bitter ist und es nicht mehr drauf ankommt? Der Ton mag im Westen etwas gediegener sein, im Osten brachialer, aber den Krieg führt jeder im Wort.
Die Ukraine will ein selbstbestimmtes Land sein. Das verstehe ich gut. Das mit dem „Volk“ , ob ukrainisch oder anders, ist mir schnuppe, und ich kann es auch nicht leiden, wenn das Völkische so überbetont wird. Es sind halt Leute, die ihre Leben frei gestalten wollen. Fair enough.
Der Krieg darum scheint mir grob fahrlässig vom Zaun gebrochen. Darüber könnte ich mich endlos aufregen. Bringt aber auch nichts. Es ist, wie´s ist. Es mangelt mir auch nicht an Bereitschaft, zum Vorteil anderer selbst Härten auszuhalten. Aber ein Innehalten bisweilen fände ich gut. Überlegungen, wie es besser gelöst sein könnte. Für den Krieg ist jeder bereit, jeden Preis zu bezahlen. Für den Frieden dagegen nicht. Das kann doch nicht die Lösung sein. Sich erst unterhalten, wenn der andere am Boden liegt – das ist doch Unsinn. Oder? Reden, Minimalvorstellungen ausloten, sich darüber austauschen - weshalb soll das so unmöglich sein? Damit ist doch nichts und niemand preisgegeben. Ich versteh´s nicht.
Das Bild heißt "Matrosenhochzeit" und ist von Gerhard Tenzer
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