Frühling, meine Lieblingsjahreszeit. Im Frühling geht ja richtig was, und das sogar dann, wenn er eher grau und kühl ist wie dieses Jahr. Es sprießt, blüht, treibt und wächst, dass man alle Sorgen drüber vergessen könnt. Und diese gibt es. Da ist die allgemeine politische und gesellschaftliche Lage, und bei uns persönlich stehen diverse Umwälzungen in Familien – und Arbeitsleben an. Die Kinder werden größer, die Eltern älter, und die Schwerprunkte verlagern sich. Alles in allem rumpelt´s ziemlich in der Kiste.
Ausserdem wollen wir Opas Schrebergarten übernehmen. Wie gut der in unser Leben passt, haben wir während Corona entdeckt, als die Spielplätze gesperrt waren. Das war eine dieser Regeln, über die ich mich heute noch aufregen könnte. Zwei Grundschulkinder und Homeschooling in einer Stadtwohnung ohne Balkon, na prima. Mit Trampolin und Schaukel feierten wir damals Einstand in der Kleingartenanlage. Das war ein Segen.
Garten und Verein hatten immer eine tragende Rolle im Familienleben gespielt. Man kann sagen, ich bin dort aufgewachsen. und ich rieche noch heute die Erdbeeren über der heißen Erde und spüre das Gras unter den Füßen. Barfuß ist man dort heuer besser nicht mehr unterwegs. Wie wir ist auch der Garten in die Jahre gekommen, und es hat sich breit gemacht, was wollte. Das ist sehr schön, denn immerzu blüht irgendwas, und es summt und kreucht und fleucht, dass es ganz und gar zauberhaft ist. „Naturnah“ nennt der Opa das, und so kann man das sagen. Aber die Oberhoheit haben Heckenrosen und Brombeeren übernommen, deren Triebe sich heimtückisch dicht unter Giersch und Erdoberfläche entlangziehen, und wo man geht und steht, kratzt, piekst und schürft es auf. Das ist nicht sehr schön - ich will den Garten lieben, ihn nicht zum Feind. Aber der Opa war die letzten Jahre halt auch auf sich alleine gestellt. Früher hatte er alles akkurat gestutzt, und kein Hälmchen wuchs unerlaubt. Wenn er nicht im Amt war, war er im Garten, und das Familienleben bestand viel aus Warten auf den Vater, der dort gerne mal die Zeit vergaß.
Das kann ich mittlerweile nachvollziehen. Hände, Augen und alle Sinne am Boden - da wird das Kleine groß und das Große klein. Meditieren kann nicht besser sein, und den prüfenden Blick auf die Uhr stelle ich großmütig hintenan. Ich stelle mir eine Art Mittelweg vor zwischen den streng abgestochenen Beeten von damals und dem Verwildern von heute. Erdbeeren müssen rein und Kirschen, und Erbsen und Bohnen. Vielleicht ließe sich das Spargelbeet reaktivieren? Es sollen Beete und Wege ineinander übergehen dürfen, es soll Totholz geben und schattige feuchte Ecken für Molch und Mücke, und Pflanzen, die sich von sich aus da heimisch fühlen. Es soll weiches Gras und blühende Wiese geben - Futter für Bienen und Co. Summen und Kreuchen und Fleuchen sollen ja bleiben. Ich will einen beherzten Einkauf in einer guten Staudengärtnerei wagen und mich beraten lassen, damit es passend wuchert. Das spart auch das Jäten. Ich will den Rasenmäher schonen. Gerade in Mai und Juni sei Stehenlassen ein Segen für die Artenvielfalt! Ausrufezeichen – das ist durchaus als Appell gemeint. Vielleicht tut´s ja ganz gut, in diesen lauten und überspannten Zeiten öfter mal dem Gras beim Wachsen zuzusehen. Ich glaube, das kann sehr spannend sein.
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