Das Reden über den Impfstatus ist so allgegenwärtig wie der Smalltalk übers Wetter. „Bist du schon oder machst du noch?“ fehlt in kaum einem Gespräch. Und meistens verläuft das auch so nonchalant wie Wettergespräche - den einen stört der Regen, der andere beschwört dessen segensreiche Wirkung, jeder geht halt irgendwie damit um, und es ist vollkommen schnuppe, wen was stört und was nicht. Es ist, wie´s ist. Und so könnte man es eigentlich auch sein lassen.
Ich bin frisch geimpft und freu mich richtig. Das finde ich lustig, weil ich Impfen so noch nie erlebt habe. Es war immer Nebenbeisache: weil die Stiko es empfahl und ein Rückblick in die Geschichte zeigte, dass Impfen da Gutes bewirkt hatte, oder weil ich verreisen wollte, oder weil ich Leute kannte, die an just der Krankheit litten, gegen die ich mich also nun impfen ließ und in der Risikoabwägung das Impfen gewonnen hatte. Ein Pieks, ein Stempel und fertig - Impfbuch zurück in die Kiste, und irgendwann ist das Pflaster weg und keiner denkt mehr dran. Noch nie war das ein so heiß gekämpfter Glaubenskrieg gewesen. Plötzlich ist Impfen eine Riesenkiste. Gestern kurz vor knapp ein Anruf, „es klappt doch“, und ich fuhr los, keine Zeit, das Fahrradschloß zu suchen. Die Reinigungskräfte machten schon sauber und schleppten Mülltüten, da bekam ich noch geschwind meine erste Dosis in den Arm. Am Ende war´s mir jetzt ganz egal, welcher Impfstoff es ist. Der, den ich am Liebsten gehabt hätte, Novavax, den gibt es noch eine ganze Weile nicht, und diese Corona-Geschichte läuft weiter, und so hab ich mich umentschieden - „ich mach doch“ - und jetzt nahm ich, was es gab. Ich bin ein Herdentier und habe was übrig für Herdenschutz. Und ich bin ein Individuum von robuster Gesundheit. Mir haben weder Krankheiten noch Impfungen bis jetzt groß was anhaben können. Und so, denke ich, wird das auch bleiben. Das Altern wird das seine halt bringen, da kann ich mich jetzt schon drauf einstellen. Wenigstens weiß ich, ist auch mein Immunsystem nicht mehr ganz jung und unerfahren; es wird wissen, was es zu tun hat. Keine große Sache also. Eigentlich. Ist es aber doch. Vorgestern bekam ich Emojis mit klingenden Sektgläsern, und tatsächlich war mir zum Feiern. Und ich bekam andere, empörte und abfällige Nachrichten. Es gibt Whatsapp – und Facebookkontakte, die haben mich jetzt blockiert, entfreundet und sich verabschiedet. Das finde ich krass. Ich habe keinen Druck gespürt, mich impfen zu lassen; keine ChefIn hat gedrängt, keine Angehörige, keine Freundin. Ich hab´s mir nur anders überlegt. Die ganze Sache verläuft halt auch anders als erwartet. Der Druck, den manche Impfgegner ausüben, den empfinde ich dagegen als ungemein aggressiv, mehr als alles andere. Was soll das denn jetzt! Da ist wer mutwillig am Spalten.
Ich habe eine Freundin, die wird von ihren Yogakolleginnen gemobbt, weil sie geimpft ist. „Du getraust dich hier noch her?“ wird sie angefeindet, wenn sie in die Onlinestunde kommt. Gerade, als könnte von einem Bildschirmabteil irgendwie was in ein anderes Abteil überspringen. Geht’s noch bescheuerter?
Ich kenne einen, der ist drauf und dran mit seiner Familie zu brechen, weil die alten Eltern sich haben impfen lassen. Wohlgemerkt war das nicht unbedingt derjenige, der am meisten geguckt hat, dass die beiden alten Leutchen mehr aus ihrer Coronaisolation herauskamen. Voll schräg. Im Vorfeld war das Impfen in diesem Haus durchaus diskutiert worden – soll einer behaupten, es würde nicht abgewogen und nachgedacht. Aber Diskussion ließ sich das eigentlich nicht nennen. Da stand Argument und eigene Stimme gegen Listen an Links, und einer eigenen Haltung stand die Auffassung gegenüber, man müsse sich schon alles konträr darstellende einverleiben, um überhaupt eine gültige Meinung haben zu können, und solange die konträre Sicht nicht geteilt wird, ist man uninformiert und naiv und wird mit weiteren Links bombardiert. Als gäbe es nur ein einziges Richtig. Reflexion und Toleranz sieht anders aus.
Ich bin mit vielen Herangehensweisen und Regeln in dieser Coronazeit auch nicht so glücklich. Die Folgen des langen Lockdowns überblicken wir noch gar nicht, aber ich glaube, sie sind happig. Ich weiß nicht, wie genau es anders hätte aussehen sollen. Ein Idealland fällt mir nicht ein. Neuseeland scheint es ganz gut zu handeln. Aber das ist eine Insel down under; da hinkt jeder Vergleich. Ich hatte die ganze Zeit viel Sympathie für die schwedische Haltung und habe sie immer noch. Da sind auch viele Leute gestorben, aber die Schulen waren die ganze Zeit geöffnet. Man hat der nachkommenden Generation nicht eine so schwere Bürde aufgeladen. Die Schweiz empfinde ich als hartherzig und über die Maßen geldgeil, aber das betrifft mehr die allgemeine Politik, weniger den Umgang mit Corona. Was man dort einander abverlangt - gute Güte. In der Schweiz ist es sicher besser, keine größeren Probleme zu haben; man käme kaum dazu, sie zu lösen. Gefallen tut mir dort allerdings, dass man der Seuche nicht so dermaßen viel Raum eingeräumt hat, dass alles darunter wegbricht und den Leuten noch die Möglichkeit genommen wird, mit den vielen Beschränkungen klarzukommen. Man hat mehr Wege offen gelassen. Die Outdoorverbote hierzulande konnte ich kaum nachvollziehen. Und wie manchen Branchen und Bereichen hier praktisch jede Relevanz abgesprochen wurde und wird, das finde ich ziemlich unerträglich. Und so geht es fort. Anlaß zu Kritik gibt es zuhauf. Aber wie abwägen? – es ist auch schwer, und so halte ich mich weitestgehend an die Vorgaben. Es sind alles Notlösungen. Für einen globalen Masterplan spricht außer Fantasie nicht allzu viel. Ich unterstelle keine bösen Absichten, und auch in einer Demokratie gibt es Macht und macht nicht jeder seine Regeln selbst. Alles in allem lässt sie doch mehr Mitsprache und Freiraum als viele andere Systeme und gründet durchaus auf respektvolles Miteinander. Und insgesamt halte ich die Vorgehensweise in Deutschland im globalen Vergleich noch lange nicht für die mieseste und blödeste. Es macht es nicht besser, sofort die Systemfrage zu stellen.
Was mich an der politischen Haltung in Deutschland allerdings zunehmend aufregt, ist das Veto gegen eine Freigabe der Patentrechte. Es gehe irgendwie auch darum, dass China nicht an diese neue mRNA-Technologie kommt. Ich weiß nicht, inwiefern das ein Argument ist. Dass man die Innovationskraft, wie Frau Merkel sagt, nicht stören dürfe, das allerdings ist keins. Finde ich. Keiner soll umsonst schaffen, auch die Pharmaindustrie nicht. Eine Pandemie ist trotz viel Arbeit halt eventuell trotzdem nicht der ganz große Reibach. Geht anderen Branchen auch so. So what. Man tut, was man tut, auch weil man es als richtig ansieht, oder nicht? Der Notarzt verlangt auch nicht Kohle im Voraus. Der hilft, weil das seine Aufgabe ist, unterstelle ich, und seinen Beruf wird er auch nicht ergriffen haben, weil er so gerne schneller fährt, als die Polizei erlaubt. In Puncto medizinische Produktion und - Versorgung gibt es offenbar Entwicklungsbedarf, und wenn eine Patentfreigabe auch keine schnelle Lösung verspricht, weil´s auch an Material und Logistik hängt, so wäre es doch eine Hilfe langfristig und für künftige Pandemien.
Der Glaubenskrieg ums Impfen nimmt absurde Züge an. Jetzt ächten also Impfgegner die Geimpften. Vielleicht ist das eine Gegenreaktion, weil man sich selbst geächtet sieht. Es heißt ja gern, es dürfe keiner mehr was Kritisches sagen - was ich für Unfug halte. Unter Umständen bekommt er halt viel Widerspruch. Ja, und wenn er freischaffend ist, kann´s passieren, er ist nicht mehr so beliebt und bekommt weniger Aufträge. Das ist bitter, aber das ist eben auch die Freiheit, um die es andauernd geht. Die ist ja nicht ein Kaufhaus, in dem alles umsonst ist. Dies Ächten ist anders. Es liegen ihm keine themenspezifischen Argumente zugrunde. Zumindest kann ich mir keine logische Begründung vorstellen. (Wenn jemand mehr weiß – ich erführe es liebend gern. Das ist zu abgefahren. Ich rätsle.) Der Geimpfte tut nichts, was auch nur im Mindesten sich gegen den Nichtgeimpften richtete oder für diesen einen Nachteil bedeutete. Ganz im Gegenteil. Wenn der Lockdown beendet ist, weil die Entscheider mit den Zahlen endlich zufrieden sind, dann haben alle ihre Freiheit wieder. Vielleicht kann man nur mit Impfung in bestimmte Länder reisen, aber das ist nichts Neues. Dies Ächten geschieht aus reiner Befindlichkeit. Und so kommt mir vieles an den so absolut unversöhnlichen Haltungen auch vor – als grundsätzliche, chronische und umfassende Gekränktheit, die das ganze Weltbild durchdringt und aus allen Rohren schießt. Echt drüber.
Ich bin gerne bereit, im Lockdown zu bleiben und geimpft auf freieres Bewegen zu verzichten, wenn das dem sozialen Frieden zuträglich ist. Wobei ich auch nicht-geimpft bereit war, Geimpften Vorteile zuzugestehen. Wer kein Übertragungsrisiko mehr darstellt, soll sich von mir aus frei bewegen. Es macht keinen Sinn, sich aus Solidarität gegenseitig das Leben schwerer zu machen als notwendig. Gemein find ich´s eigentlich nur den Kindern und jungen Leuten gegenüber, die weiter dazu verurteilt sind, als Risiko zu gelten und die drum entsprechend behandelt werden. Das sehe ich auch nicht ein: wenn die potentiellen Risikopatienten geimpft sind, weshalb können sich dann nicht die, denen die Krankheit in aller Regel gar nicht viel ausmacht, wieder frei bewegen? Die Kleinen und Jungen haben immer die doppelte Arschkarte, und in diesem Zusammenhang finde ich den Begriff der Solidarität, die sie üben sollen, arg überstrapaziert.
Wenn diese Geschichte ausgestanden ist und Corona ein Virus von vielen, der halt irgendwie zirkuliert, dann wird man drüber reden müssen, was besser hätte laufen müssen, wer Grund und Berechtigung hat mit wem beleidigt zu sein, und wie Abhilfe für entstandenen Probleme geschafft werden kann, was unter welchen Umständen verziehen wird und wo tatsächlich eine Schuld bleibt. Es gibt ja nun kein Recht auf Verzeihen. Aber erstmal fände ich gut, man würde die Knüppel wegpacken, mit denen hier so aufeinander eingedroschen wird. Wer sich impfen lassen will, soll sich impfen lassen, wer nicht, der nicht. Fertig. Was soll das Rumgemobbe. Diese Seuche ist eine Naturgewalt, aber noch gewaltiger ist, was wir Menschen daraus machen. Es muss immer mehr kaputt sein als notwendig. Es will mir nicht runter.
Das war jetzt der Bezug zu Gewalt, und mit der geht es – leider – weiter. Das ist sicher nicht die beste Überleitung. Aber ich spüre, ich muss in den Energiesparmodus schalten, sonst wird mir das alles zuviel. Und zwei Beiträge sind mehr Aufwand als einer. Keiner wäre noch weniger, aber dann rumoren die Worte weiter und plagen die Gedanken, und das hilft auch nicht. Ein Punkt hinter einem Satz ist ein wunderbares Mittel sich zu ordnen.
Gewalt gegen Frauen II
In Afghanistan sind bei einem Anschlag auf eine Mädchenschule 58 Menschen, die meisten weibliche Teenager, getötet und mehr als 150 verletzt worden. Die kriegsführenden (Männer-)Parteien beschuldigen sich gegenseitig. Mit Frieden probiert´s keiner. Zuvor gab es Anschläge auf Wöchnerinnenstationen in Krankenhäusern, auf von Frauen besuchte Märkte… Frauen sind bevorzugte Opfer. In Österreich hat ein Mann, der aus den sozialen Medien bereits als frauenfeindlich und angriffslustig bekannt war, seine Expartnerin getötet. Es war der neunte Femizid in Österreich in vier Monaten. Jahre davor hat der Täter eine Politikerin immer wieder übelst angefeindet und sie mit verbalem Hass traktiert. Diese zog seinen Namen aus der Anonymität des Internets und bezichtigte ihn seiner Taten namentlich und öffentlich. Der Mann stritt ab und verklagte die Politikerin wegen übler Nachrede. In erster Instanz bekam er Recht, und die Politikerin, Opfer frauenfeindlicher Hassrede, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil wurde später aufgehoben.
Es hört nicht auf. Gewalt gegen Frauen. Und Schuldzuweisungen an die Opfer.
„Warum empören sich so wenige?“ hieß das Thema einer Onlinediskussion, in der ich referierende Gästin war. Die Frage ist unbeantwortet geblieben. Warum empören sich so wenige über so viel Gewalt? Werden die Fälle und Zahlen zusammenfasst, in denen Frauen Opfer von Gewalt werden, ergeben sie Opferzahlen pandemischen Ausmaßes. Und dennoch wird jeder Fall für sich abgehandelt und wird ´Ursachenforschung´ betrieben, indem Dreckwäsche gewaschen und in den Lebensläufen der Opfer nach ´Fehlern´ gesucht wird. Das kann´s doch nicht sein.
Krass war, dass dies Schema sogar der Onlinediskussion innelag. Einige der Teilnehmerinnen hatten wohl mitunter deutlich andere Vorstellungen von emanzipatorischem Fortschritt. Ich hatte dafür plädiert, die Polizeiarbeit zu verändern, weil ich diese früher und noch immer bisweilen recht garstig mit Frauen umgehend empfinde. Man sollte sie besser schulen, Frauen von Frauen vernehmen lassen, Fälle nicht einzelnen Sachbearbeitern überantworten, sondern gemischtgeschlechtlichen Teams. Und man sollte sie lehren, in den Opfern nicht hauptsächlich (männerbelastende) Zeuginnen zu sehen, denen es gilt, Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Stattdessen sollen sie verstehen, dass das Opfer nicht in erster Bürgerinnenpflicht Mittel zum Zweck ist, den Bösewicht zu fangen; erstmal ist das Opfer einfach nur dies – Opfer. Eine Straftat ist eine Straftat, auch wenn das Opfer nicht selbst Anzeige erstattet. Es muss genügen, dass die Tat laut Strafgesetzbuch verboten und unter Strafe gestellt ist. Das gilt für andere Straftaten auch. Außerdem ist niemandem geholfen, wenn ein eventuell bestehender, persönlicher Opfer-Täter-Konflikt weiter angeheizt wird und ist es kontraproduktiv, das Opfer unter Zugzwang zu setzen, so nach dem Motto, Hilfe gibt es nur, wenn sie mitzieht. Dazu müsste sie das eigene Überleben dem Erfolg von Staatsanwaltschaft und Ermittler unterordnen. Das kann keiner verlangen. Das Opfer hört die Drohungen des Täters, "wenn du...!", und mit diesen Stimmen im Kopf ist sie oft alleine.
Es fiel mir noch einiges ein, was meines Erachtens nach besser ginge. Kritisches Hinterfragen der Polizeiarbeit wurde von einigen der teilnehmenden Frauen jedoch als unerhörter Affront betrachtet. Das gäbe es alles längst und würde längst gemacht. Die Polizei leiste gute Arbeit. Basta. Die Frauen sollten aufhören, die Opferrolle einzunehmen. Das verstehe ich bis heute nicht – was ist denn gemeint mit ´Opferrolle´ und was genau sollen die Frauen ablegen? Ist die Lage aus feministischer Sicht eine bessere, wenn man sie als Täterinnen betrachtet? Das ergibt doch keinen Sinn!
Ich habe später bei der Polizei nachgefragt: es besteht durchaus das Ziel, dass Frauen von Frauen vernommen werden, aber sehr oft geht das nicht, weil zu wenig Frauen im Dienst sind. Was das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ berührt. In Fällen, in denen die Gewalttat keine Tod-und Elend-bringenden Folgen nach sich zieht, oder in denen das öffentliche Interesse nicht danach schreit, wird meist weiterhin von Einzelsachbearbeitern ermittelt – oder eben nicht. So ein Einzelermittler kann den Fall auch schließen, „wenn der Aufwand zu groß ist“ . O-Ton. Was immer da „zu groß“ bedeutet, wie immer da gemessen wird. Zwar bedarf es für jeden Fall, der geschlossen wird, das Zeichnen eines Vorgesetzten, aber es klang durchaus nach einem recht simplen Vorgang, mehr Routine als Kontrolle, was also leichtfertigem bis willkürlichem Beurteilen Raum lässt. Es hätte es auch schon gegeben, ja, leider, dass man Einsätze abgelehnt habe, bestätigte der Mann der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit, nämlich dann, wenn davon auszugehen war, zum Beispiel, dass die Frau nicht Strafanzeige erstatte, die Tat strafrechtlich nicht verwertbar sei und/oder die Frau in ihrer Situation verbleibe; „sie seien keine Erzieher“.
Und darüber ließe sich nun weiterstreiten. So wie der Polizeibeamte es darstellte, sieht die Polizei ihre Aufgabe darin, der Staatsanwaltschaft Täter und gewinnbare Fälle zuzuarbeiten. Und das ist sicher richtig. Bloß darf es nicht der einzige Aspekt der Arbeit sein. Ich meine schon, dass die Polizei als Exekutivkraft auch erzieherische Aufgaben hat. Manche Täter scheinen genau das zu brauchen – Erziehung, jemand, der ihnen sagt, was läuft und was nicht. Diese Aufgabe hat nicht NUR die Polizei, die haben allem Voran Familienmitglieder, dann Bildungseinrichtungen, Medien und Behörden, alle möglichen Örtlichkeiten, von der Rehaklinik bis zum Gefängnis, Vereine und Nachbarn, Pfarrer und wasweißichnichtalles, aber eben AUCH die Polizei. Und wenn sie zu einer Frau zehn Mal gerufen wird, weil die Frau vom Partner geschlagen wird, und die Frau zehn Mal die Anzeige zurückzieht oder gar nicht erst erstattet und stattdessen den Mann wieder aufnimmt, dann war zehn Mal Gelegenheit dem Typen zu erklären, dass es so nicht geht und der Frau Hilfe anzutragen. Und irgendwann kann sie die vielleicht auch annehmen. Es ist nicht fair vom Opfer zu verlangen, es möge in Vorleistung gehen. Vielleicht ist das gemeint mit ´Opferrolle´- wenn eine Frau nicht sofort den ganzen Weg gehen kann, sondern in der Situation bleibt. Das mag unklug sein. Aber manchmal ist der Weg einer Befreiung lang und der Anfang liegt ganz tief im Verborgenen, und dann ist er vielleicht auch nur in kleinen Schritten zu gehen. Die Ausgangsposition des Opfers ist nicht dieselbe wie desjenigen, der/die Hilfe anträgt. Die, denen geholfen werden soll, die bestimmen den Weg, nicht die Helfenden. Hilfe kommt nicht aus ohne diese Toleranz und Respekt. Und die Polizei ist nicht nur handelnder Arm der Staatsanwaltschaft, sondern „Freund und Helfer“. So hieß das mal. Zunächst einmal geht es darum, den Opfern zu zeigen, dass sie nicht alleine stehen und dass ihr Leid angeht. Dann können sie selbst es auch besser angehen.
In der Onlinediskussion habe ich dafür plädiert, schon ganz früh anzufangen, das Bewusstsein zu verändern, schon in den Kindergärten zu beginnen zu vermitteln, wie Leute respektvoll miteinander umgehen. Zahnärzte kommen in die Kindergärten und gucken sich Zähne an, weshalb nicht auch PolizistInnen und SozialarbeiterInnen. In jedem Kindergarten, in der Grundschule, in den weiterführenden Schulen, immer wieder, je nach Alter und Wissensstand, in Vereinen und Jugendgruppen, in Kirchen und Firmen, immer und überall sollte es verdeutlicht werden, was geht, was nicht, und wo Opfer von Gewalt und Übergriff Hilfe erfahren. „Gäbe es längst“, wurde ich gescholten. Wie ich überhaupt dazu käme, zu behaupten, es sei anders. Ich musste mich nicht schlecht rechtfertigen für meine Kritik. Krass. Wie in Lego Movie - „Hier ist alles super!“. Wer meint rummaulen zu müssen, ist bestimmt selbst schuld an seiner Misere.
Ich halte viel vom hiesigen Verein „Frauen helfen Frauen“ und finde, die Sozialarbeiterinnen dort machen einen klasse Job, wie viele Leute das tun, die in diesem Bereich tätig sind. Trotzdem – meine Kinder haben noch nie eine derartige Schulung erhalten, und keines der Kinder meiner sämtlichen Freundinnen. Manche sind längst im Studium. Noch nie. Wobei es da offenbar eine Art Stadt-Land-Gefälle gibt. Von Freiburg und größeren Städten wird mir das erzählt; da gäbe es das. Trotzdem - es ist einfach zu wenig. Wäre es anders, sähe unsere Gesellschaft anders aus. Stattdessen wollte unlängst hier einer Kanzler werden, der 1997 noch fand, Vergewaltigung in der Ehe gehöre nicht ins Strafgesetzbuch, und der hatte, vor allem hier im Südwesten, viele auch weibliche Fans. Unglaublich.
Die Onlinediskussion war ein Lehrstück. Unbezahlbar. Darin war zu finden großartige Unterstützung und mutiges In-die-Bresche-springen. Aber auch das genaue Gegenteil. Ich war nicht alleine mit meiner Feststellung, dass das Gefühl von gegenseitiger Toleranz und Solidarität fehlte. Und ohne wird es nicht gehen, ohne bleiben Frauen ´das schwache Geschlecht´, das nicht einschenkt, sondern ausbadet, die weniger geachtete Hälfte der Menschheit. Es trägt uns keiner hinterher. Freiheit muss frau sich nehmen, und Respekt und Würde einfordern. Das geht nur zusammen.
„Frauen werden schnell unsolidarisch“ sagte eine Freundin später, „sie treten zu leicht in Konkurrenz.“ Sie meinte, das sei, weil der Weg nach oben auf der Karriereleiter, auf der wir alle irgendwie stehen, in Ducken und Sich-anbiedern sowie auch im Einsatz der Ellenbogen bestehe, und Frauen müssten sich stets doppelt beweisen. Das kann gut stimmen. Das sind alles Tugenden, die sich nicht mit Solidarität vertragen.
Ob Karriere oder nicht - wir treten zu schnell in Konkurrenz, wir sind kleinlich und nehmen uns gegenseitig auseinander. Wir nehmen nicht alle mit. Das darf nicht sein. Sobald wir uns ein Stück Souveränität geschaffen haben, bilden wir uns ein, das sei alles ganz eigene Kraft, ganz eigenes Können. Dabei profitiert jede von uns vom Schaffen der Vor - und Mitkämpferinnen. Wir tun jede für sich, dabei beackern wir denselben Grund. Wir könnten es leichter haben, wenn wir nicht Energie verschwendeten, anderen zeigen zu wollen, wie es geht - Jede steht, wo sie steht. Und jede tut, was sie kann. Wenn WIR uns nicht gegenseitig anerkennen, was wollen wir dann einfordern - besser zu sein? Wir SIND ein Chor, wir singen auch dasselbe Lied. Wir müssen nur lernen, die Tonlagen zusammenzubringen.
Eine Quote nähme den Druck aus dem System, und viele Ländern haben gute Erfahrungen gemacht damit. Hierzulande wird der Untergang des Abendlandes beschworen, wenn das Gesprächsthema ist.
„Ihr müsst Frauen wählen!“ mahnte der Mann einer Freundin. Die Hälfte der Wähler sind ja nun WählerInnen. Stimmt. Beim nächsten Urnengang entscheide ich auch nach Geschlecht! „Diese Baerbock hat ja überhaupt keine Erfahrung!“ mokierte sich dagegen der Mann einer anderen Freundin. Mag sein. Neuseeland wird von einer Frau regiert, die auch nicht als Politikerin auf die Welt gekommen ist, die noch ein Leben als Mutter hat, und die das dennoch alles ganz prima meistert. Und außerdem frage ich mich, wie gewinnbringend die Erfahrung im jahrzehntelangen sich-Hochdienen in Parteihierarchien ist. Wo ist mann denn hingekommen? Zu Postengeschacher und Vetterleswirtschaft, Korruption und Machtmissbrauch.
Neuseeland hat da Mut zur ´Übertreibung´: die jahrhundertelange Benachteiligung der Maoris wird überwunden, so der Plan, indem Maoris bevorzugt werden. Nicht Quote, nicht Fifty-fifty, sondern Bevorzugung. Maoris bekommen leichter Stipendien, leichter Posten, leichter Zuschläge – so wird die lange Diskriminierung ausgeglichen. Und super finde ich, dass das in Neuseeland geht, ohne dass das Land sich zerfleischt. Diese Politik hat nicht nur Freunde, aber die Gegner rühren nicht gleich die große Giftküche an. In Australien tun sie das. In Australien kann keiner Politiker bleiben, der die Schuld an den Aborigines anerkennt. Zu groß ist die Angst vor deren Höhe und die Lust, dieses weite Land immer gewaltiger auszubeuten. Ich kann mir gut vorstellen, dieser fehlende Respekt wird sich als die Achillesferse erweisen, die dieses fantastische Land zu Fall bringt. Da ist zu viel im Argen; da kann nichts Gutes draus entstehen.
Unsere Gesellschaft muss nachhaltiger werden. Das geht nicht ohne Respekt, Toleranz und Solidarität. Der feministische Anspruch auf mehr Mitbestimmung und Würdigung ist nicht persönliches Steckenpferd der Einzelnen, sondern geht Hand in Hand mit der Arbeit an einer besseren Welt. Man kann die Welt ansehen und sie schön finden, aber man kann nicht sie ansehen und sie in Ordnung finden, wie sie ist. Dazu ist zu viel zu schlecht. Es gibt zu viel Gewalt in der Welt. Das muss aufhören.
Ladies, auch die, die mit feministisch daherkommenden Überlegungen nicht viel am Hut haben - üben wir uns in Solidarität und bringen wir sie voran, die Sache der anderen Hälfte der Welt! Es haben alle was davon.
Der erste Teil: "Gewalt gegen Frauen":
https://www.rottweil-ist-ueberall.de/magazin/topthema.php?conid=116&p=1
Sie müssen sich einloggen, um diese Funktion nutzen zu können. Sie haben noch keine Zugangsdaten? Klicken Sie hierzu auf "neu registrieren".