Ist es nicht ein hübsches Sternchen? Mir gefällt´s. Es gibt Leute, die regen sich sehr darüber auf. Aufregen tu ich mich auch, aber über anderes. Das Sternchen, meine ich, hat schon seine Berechtigung. Sprache verändert sich, und sie tut es mitunter, weil sich ein Bewusstsein verändert. Das ist nichts Schlechtes. Ein bisschen ist es wie mit dem Impfen. Wer will, der soll, wer nicht, der nicht. Einen Glaubenskrieg lohnt es nicht. Im offiziellen Sprachgebrauch fände ich gut, es wäre weit verbreitet. Wenn eine Sprache nur eine Hälfte der Gemeinten abbildet, stimmt was nicht. Im Privaten soll es jede*r halten, wie sie es für richtig empfindet. In den 80-ern gab es mal ein Buch „Die Töchter Egalias“, das kehrte einfach um. Die Männer herrschten nicht, die Frauen frauschten. War sehr lustig zu lesen. Gendern ist eine Haltung, eine von mehreren möglichen. Es hängt nicht die Welt davon ab. Ich handhabe nach Lust und Laune, und manchmal nur, weil mir danach ist, eine Prise Sternenstaub zu verteilen. Wir brauchen mehr Glanz.
In Göllsdorf wird gebaut; da stehen die Häuer bald bis fast zu den schönen Primwiesen. In Hausen ist der Boden offen; da entsteht am Ortsanfang das Wohngebiet „Bronnenkohl“. Es ist nicht die Sahneschnitte unter den Wohnlagen, nicht wie am Klosterbach ein Stück Natur, um welches das Herz blutet, aber weh tut´s allemal. Immer dieses Flächenversiegeln.
Ich stelle mir vor, wie es aussähe aus Insektensicht – die Welt wäre ein zerfledderter Flickenteppich aus weit auseinanderliegenden To-Go- und dazwischen vielen No-Go-Areas. Überall macht der Mensch sich breit, und der empfindet schon als Natur, wenn irgendwo ein einsamer Baum oder eine Kübelpflanze steht.
Kürzlich war ich spazieren am Stadtrand; ich kam an etlichen Schotterpisten und auf ´sauber´ getrimmten Vorgärten vorbei. Sah ungezählte stutzte Buchsbäume, Rindenmulch mit traurig grünen Einsprengseln, es war schon viel, wenn in einem eng begrenzten, ausgesuchten Rasenabteil ein paar Gänseblümchen blühen durften. Ich weiß nicht - ich würde Schottergärten auch verbieten. Ich versteh´s nicht - wer keine Lust auf Garten hat, wäre mit einer schicken Eigentumswohnung doch besser bedient? In manchen Vorgärten wird im Kampf „Mensch vs Natur“ offensichtlich und lebensfeindlich zu härtesten Waffen gegriffen und ich sah oft schon von Weitem, dass da nicht die Spur einer Erkenntnis zuhause ist, wir könnten etwas ändern müssen. Natur braucht ihren Raum.
Mehr Fläche macht noch nicht die Stadt. Das weiß man auch in Rottweil. Dazu gehört schon mehr, und deshalb gibt es jetzt eine Citymanagerin. Ich finde Tamara Retzlaff toll. Angesiedelt beim Gewerbe-und Handelsverein ist ihr Bestreben, Rottweil als Einkaufs- und Dienstleistungsstandort attraktiver zu machen. Ist sicher gut. „Rottweil groß machen“, ich glaube, das ist ein Zitat von ihr. Und das traue ich ihr zu. Ich hab sie im Podcast „Kleinstadtleben“ gehört, von Marie und Rob Hak und Joo Aiple. Das war total unterhaltsam, witzig und informativ und verströmte den Hauch der weiten Welt in den Äther, den ich so liebe. Ich habe im Schwabo, in der NRWZ und auf Rottweil-inside über sie gelesen, und mittlerweile folge ich ihr auf Instagram. Diese Frau ist ein Knüller, und ich finde riesig, wie sie so jung schon so weit oben auf der Karriereleiter steht. Und das vollkommen zu Recht; sie ist gescheit, hat tolle Ideen und ist so voll Esprit, dass es ansteckend ist. Ich trau es ihr zu. „Rottweil groß machen“, so groß diese kleine Stadt halt sein kann.
So eine Tamara Retzlaff noch an anderer Stelle, da, wo gelenkt und entschieden wird – das wäre was! Handel und Gewerbe machen eine Stadt mit aus, natürlich, aber deren Aufgabe empfinde ich nicht als den maßgebenden und hauptsächlichen Aspekt. Ich meine, der sei sogar eher untergeordnet. Zunächst einmal ist eine Stadt ein Ort, an dem viele Menschen eng beisammen leben, und das möglichst freud- und friedvoll vereint. Und diese Menschen sehen ihre Stadt mit ganz anderen Augen. Ich habe Rottweil nie als Einkaufsstadt gesehen: schon früher, seit ich in den 70er Jahren anfing, die Stadt zu erkunden, fuhren viele nach Villingen-Schwenningen oder Bad Dürrheim, wenn ein größeres Shopping-Gefühl gefragt war. So kam man etwas rum, das ist kein Manko. Jeder Stadt ihr Ding – in Schwenningen das City-Rondell, in Rottweil die Altbausanierung - Rottweil bot anderes. Ich glaube, Rottweiler*Innen brauchen die Stadt gar nicht so sehr als „Einkaufsstadt“, was ja irgendwie jede Stadt sein will, und was im Grund auch jede bietet: jedes Dorf, jede Stadt, nehme ich mal an, bietet die Läden, die dem Kaufverhalten seiner Bewohner entsprechen. Stadtleute bewohnen ihre Stadt wie ein erweitertes Wohnzimmer - da geht es weniger um Parkplätze und nicht mal um pittoreske Fassaden, die für Besucher frei sichtbar sein sollen, da geht es um Bänke im Schatten großer Bäume, die tatsächlich ihre Wurzeln im Boden haben, nicht in transportablen Kisten, Bäume, unter denen Nachbarn zusammenkommen. Da können sich Touristen dann dazu setzen. Was gibt es Schöneres, als in einer fremden Stadt ein gemütliches Plätzchen zu finden, von dem aus sich das Stadtleben betrachten lässt? Immer wieder werde ich von Ortsfremden gefragt, kurz vor der Haustür, den mich als Einheimische ausweisenden Schlüssel schon in der Hand, wo denn die vielgerühmte, schöne Innenstadt sei, derentwegen sie hierher gekommen sind, ob das alles sei, dies Carré mit zwei großen Straßen und ein paar Gässchen dahinter. Die sind dann total überrascht, wenn ich bejahe und zur Ehrrettung ausführe, wie ja doch jedes Viertel seine eigene Note und Besonderheiten aufweist. Jaja, das haben sie schon gesehen, das Heilig-Kreuz-Münster mit Engel-und Höllgasse, den Lorenzort mit dem Bockshof, den Johannserort mit Kameralamtsgarten und bischöflichem Konvikt, und dem wunderschönen Kapellenturm, und den Sprengerort mit seinen hübschen versteckten Gärtchen…. „Jajaja, das haben sie schon gesehen. Aber ist das alles?“ Yep. Das ist alles. Museen gibt es noch und das Forum Kunst, aber das ist alles leider noch zu, und „nein, sie wollten jetzt auch nirgends rein, jetzt wo grad mal so schön die Sonne scheint.“ Die würden nichts lieber als bei Einheimischen sitzen und Rottweiler Stadtleben betrachten. „Wie ein groß geratenes Dorf, das aus der Zeit gefallen ist“ wirke Rottweil, sagte ein älterer Tourist. Uups. Das fand ich dann schon krass. „Ein hübsches immerhin“, bekräftigte ich. Da stimmte er zu, wenigstens. Ich gebe Frau Retzlaff absolut Recht – ein bisschen mehr Größe und ein bisschen mehr City darf´s schon sein. Das bekommt man aber kaum mit mehr Einfamilienhäuschen am Stadtrand hin, und, ich weiß nicht, vielleicht auch nicht unbedingt, jedenfalls nicht maßgeblich, mit mehr und anderen Läden.
Wenn jetzt nicht mehr so sehr das Bestreben bestünde, dass in jedem Erdgeschoß ein Laden sein muss, sondern da auch gewohnt werden darf, wenn sich Wohnen und Kaufen und Wirtschaften und Schaffen verbinden ließe, dann wäre das ganz bestimmt auch pittoresk anzusehen. Und wo kostengünstig und kinderreich gewohnt wird, macht auch ein Second-Hand-Laden Sinn, und wenn die Touristen mit den Einheimischen unterm Baum einen Kaffee trinken, verkaufen auch Kaffeerösterei und Confiserie. Und ein E-Rollervermieter mit Kiosk und Imbiss könnte bequem zu Römerbad und Pelagiuskirche schicken. Das wäre ziemlich cityesk.
„Ob Klimaschutz, Flächeneinsparung, moderne Energieversorgung oder Mobilität – unsere Ziele liegen im Morgen, aber unser Baurecht ist von gestern“, schreibt Lamia Messari-Becker, Baurechtsingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Uni Siegen. Sie ist Mitglied im Club of Rome und war bis 2020 Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. In der FAZ vom 10.Mai 2021, betitelt „Den Leerstand als Leergut begreifen“, schreibt sie „Blickt man lange genug zurück, wird deutlich, dass Krisen, Katastrophen und eben auch Pandemien schon immer Gebäude und Städte geformt haben….Die Pandemie offenbart Defizite und hinterlässt Spuren: Monofunktionale Innenstädte beklagen Leerstand…Menschen hinterfragen ihre Wohnsituation. … Der Wohnungsbau, oft „Kistenvarianten aus dem Katalog“ mit überschaubarer Halbwertszeit, trennt Generationen voneinander, Familien von Singles, und er zementiert soziale Unterschiede. … Die Pandemie ist ein Weckruf unsere Baukultur zu hinterfragen. … Wie gestalten wir Lebensräume krisenfester? … Der ohnehin nötige sozial-ökologische Wandel ließe sich mit einem Stadtumbau sogar gut verbinden.“ 80% des CO2-Ausstoßes konzentrieren sich auf Städte und Metropolen. Mit rund einem Drittel des CO2-Ausstoßes und der Hälfte des Ressourcenverbrauchs ist der Bausektor zentral. Nach Abriss wird kaum wiederverwendet, sondern zumeist deponiert. Wichtig wäre, den Lebenszyklus von Gebäuden in den Blick zu nehmen.
Wenn weniger versiegelt würde, sondern mehr bewahrt, wenn Grün nicht Fassadenfarbe wäre, sondern echte Photosynthese – Rottweil hätte eine Klimabilanz die sich sehen lassen könnte. Spitzenklasse. Bestimmt.
„Legt man diese Betrachtungsweise zum Maßstab an, schlägt die Stunde des Bestands“ , schreibt sie weiter.“… „Nutzungsmischung ermöglicht soziale Begegnungen und unterstützt eine Baukultur des Ankommens. Das ist das Fundament der Stadt der kurzen Wege. Kombiniert mit einem attraktiven…öffentlichen Nahverkehr nimmt der Autoverkehr ab. So gelingt eine wirkliche Verkehrswende; E-Mobilität und autonomes Fahren bringen nicht weniger, sondern mehr Verkehr in die Städte. … Mit der Verlagerung von Teilen der Arbeitswelt ins Digitale kann Wohnen, die soziale Frage unserer Zeit, neu gestellt werden. Leerstand ließe sich zu Wohnbauten umnutzen. …. In Zeiten der Wohnraumknappheit werden auf 1000 Quadratmeter großen Grundstücken Gebäude mit nur zwei Wohnungen genehmigt, Nachverdichtungen werden erschwert, dagegen wird das Bauen außerhalb der Kernstädte erleichtert, auch ohne ÖPNV-Anbindung und Nahversorgungsangebot. Pendlerverkehr ist die Folge…. Das alles scheint aus der Zeit gefallen.“
Frau Lamia Messari-Becker schreibt noch viel mehr. IHR Schlusssatz ist „ein eigenständiges Bauministerium muss her“. Was es in BaWü ja nun gibt.
Vielleicht tut sich ja doch noch was, selbst hier in der Provinz. Es gäbe Rottweiler*Innen genug, die sich freuen und die mitschaffen würden.
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