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Mittelschichtsträume und die wunderbare Leichtigkeit des Seins

copyright Rottweil ist überall

Ein Vollbad, ein langer Spaziergang, frühes Schlafen, im Sessel sitzen und nichts tun - das Schicksal kann so großzügig sein. Noch immer Ferien. Ich kann sie gediegen verdauen – die leichtlebige Woche „Kulturufer in Friedrichshafen“, mit Sommer - den ich da als eine Frage des Willens mehr denn als eine des Wetters definiert habe – mit Akrobatik, Theater, Kabarett, Tanz und Zauberei und Musik auf jedem Schritt und mit dem Bodensee vor der Wohnwagentür und einem sehr sympathischen Mikrokosmos hinter den Kulissen des Festivals. Schön war das und bedenkenswert. Auf von einem Kurztrip kommt man nicht gleich wieder heim wie man aufbrach.

Da war eine Männerband, Machos in Style und Texten, aber sehr witzig, bisweilen klar ironisch, aber mitunter war ich mir auch nicht sicher, was Ernst war, was Ironie, und was überwog, die Lebensfreude oder der Frust über die Zumutungen eines sich ändernden Männerideals. Der Freund auch der Wohnwagennächte fand die Band überhaupt nicht macho. Am Abend darauf eine feministische Lesung mit Auszügen „von Texten starker Frauen“, die ich teilweise auch sehr bewundere, Simone de Beauvoir zum Beispiel. Der Freund fand die Lesung überhaupt nicht feministisch, „es sei ja mehr um früher gegangen“. Ausgangspunkt war Corona gewesen. Ich hätte mich mit der vortragenden Frau danach ganz gerne noch länger unterhalten, aber so im direkten Gegenüber schien sie mir die Sprache eines fremden Planeten zu sprechen. Am Wein kann´s da noch nicht gelegen haben. Jedenfalls dachte ich, das mit Machismo und Feminismus, das stellt schon je nach Standpunkt sehr unterschiedlich dar.

Sehr viel sehr tolle Kunst in Zelten, und genauso begeisternde auf der Promenade. Straßenkunst ist nicht zu unterschätzen. Der Umstand, dass sie im Freien stattfindet und „in den Hut“ gespielt wird, tut der Kunst keinen Abbruch. Da war eine Tänzerin, die die Menge mitnahm auf eine Reise in unser aller Inneres und die mit spontanen Statisten aus dem Publikum eine atemberaubende Allianz einging. Da war ein Feuer-Künstler, dessen Show ich beeindruckend fand, waghalsig und gekonnt, die mich aber nicht so sehr von den Füßen riss und dessen Auftritt ich etwas aufdringlich fand. Nun gut, ich habe sie tagsüber gesehen und da hat man es als Feuerkünstler sicher schwer. Später habe ich erfahren, dass die beiden, Tänzerin und Feuerakrobat, zusammen mit ihren Kindern unterwegs sind. Was für tolle Lebensentwürfe es doch gibt! Da waren mehrere Paare aus Argentinien, lustige Clown*innen und eines, das mit dem ganzen Körper Kunstwerke auf abwaschbare Leinwände malte. Ein Zauberer gab „meinem“ Mädel einen Ball in die Hand, und sie sollte die Finger drum schließen und darauf pusten, und als sie die Faust wieder öffnete, waren erst zwei, dann drei Bälle darin. Wir staunten. Wir staunten auch über tanzende Stelzenfrauen, die grazil und leidenschaftlich Aufruhr, Zerrissen – und Zerbrechlichkeit und Vertrauen über die Köpfe hinwegtanzten. Eine andere Show endete mit Eichendorffs Kanon „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“. Ich liebe ihn.

Mein Mädel war nachgekommen. „Ihr erstes Festival“. Sie war beeindruckt und gefordert. Großwerden ist ja an sich schon schwer und bisweilen ein Buch mit sieben Siegeln. Und dann so ein Mikrokosmos. Da können die besten Shows in den Hintergrund treten. Sie hat lieber im See Fische regiert und mit Seifenproduzentinnen Bekanntschaft gemacht. Und wir haben jetzt viele pastellfarben glitzernde und duftende Seifen als Rose, Hase, Bär,… .

Es waren Tage voller Schöngeist und Menschenliebe. Schöne Menschen machten schöne Dinge. Und dabei waren sie durchaus nicht alle klischeehaft „schön“ - da gab es junge und alte, dicke und dünne, makellose und vom Leben gezeichnete – schön waren sie alle eher in so einer Art Wesenzug, einer Grundhaltung.

Nach zehn Tagen hieß es „vorbei“. Der Mikrokosmos seufzte wehmütig und packte sich selbst in seine Kisten.

Danach, auf meinem Verdauungsspaziergang, kam ich an einem sprudelnden Bach und Feldern entlang durch stillen Wald, sah Schmetterlinge und Mücken im Licht tanzen, sah sehr schöne und auch einen sehr kranken Baum und hörte Grillen zirpen, und ich ging so ziellos dahin und kam von ungewohnter Seite in ein mir fremdes Neubaugebiet, eines, das ich nur vom Namen und der Bezeichnung in der Zeitung her kenne; neu entstanden der letzten 10 Jahre so pi mal Daumen. Grad aus dem Wald heraus stand ich plötzlich neben einer Doppelgarage, davor ein Porsche, E, und auf der anderen Seite ein SUV, und ich ging die Straße entlang und betrachtete die Häuser, an einem hing ein Werbeschild für ein Architekturbüro, und ich dachte „meine Fresse, hier waren vermutlich ganze Legionen von Architekten beschäftigt, und dann kommt so eine Scheiße dabei raus!“: lauter weiße Wohnwürfel unterschiedlichen Formats inmitten lauter grüner Rasenflächen, unterschiedlich geschnitten und begrenzt, und aus jedem Quadratmeter schreit der Wettbewerb „größer-nobler-teurer“. Und das soll also der große Traum des Mittelstands sein! Je nach Geldbeutel und Karrieresprosse mehr oder weniger „gehoben“ oder auch „bescheiden“, aber immer würfelig, weiß-grün und sterbenslangweilig. Die Scheidungsraten in solchen Vierteln seien um gut ein Drittel höher als in anders gemischten, hab ich mal gelesen. Und dafür werden Flächen um Flächen versiegelt als gäb´s kein Morgen. Und ich lief so durch und fand´s so bescheuert und stellte mir vor, es gäbe Architekten, die neue Träume kreierten, grüne Biotope und Mehrparteienwohnen nicht nur für schicke Citys und hippe Vorzeigevorstädte, sondern auch fürs schnöde Land und poplige Kleinstädte ein neues Cool. Ich stellte mir vor  – weil es ja offenbar unbedingt ein Oben und ein Unten geben muss – die Erfolgreicheren oben, die Bescheideneren mittig, die Ärmeren ganz unten - mehrstöckig, mit Balkonen und Höfen, und dazwischen mit Gemeinschaftsräumen, je nach Lebensstandard und Generation, für jeden was dabei, und das Ganze begrünt zu allen Seiten und drüber und drunter, und mit Carsharing im Viertel und witzigen Bushaltestellen, an denen man gerne wartet. Ich stellte mir vor, es gäbe ein Zusammen des Mittelstands, der nicht nacheifert, sondern sich zusammentut auch mit den Armen und sich abhebt von den Superreichen, die sich noch so viel ignoranter breitmachen und auf jedem Kontinent mindestens ein Anwesen brauchen und das so großzügig bemessen, dass diese paar Krösusse ganze Landstriche in Dornröschenschlaf versetzen können, wenn der Jetset grad anderswo weilt, und die den Lebtag lang mit feudaler Selbstverständlichkeit zwischen ihren Bunkern hin und her jetten und von irgendwelchen Finanzjongleuren den Reichtum mehren lassen. SIE gälte es zu begrenzen. Und das stellte ich mir vor und dachte, das wäre gar kein „Weniger“, das wäre so viel mehr Leichtigkeit des Seins für alle und überhaupt für unseren ganzen Mikrokosmos Deutschland.

„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort…“ Ach, Herr Eichendorff – welchen Traum wollen wir jetzt aufleben lassen, und wie lautet das Zauberwort?

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