„Ne Freude im Leid“
Es stimmt schon – es war ein Irrsinn, so eigentlich, in solchen Zeiten Fasnet zu feiern. Mt einem Virus im Umlauf, das zwar meistens ganz harmlose Krankheitsverläufe mit sich bringt, immer wieder - und das ziemlich unberechenbar - aber doch mit brachialer Gewalt zuschlägt. Es war und ist ein bisschen wie Roulettespielen – wo bleibt die Kugel hängen. Ich weiß nicht, ob mir der Fatalismus gefällt, der sich damit breit macht. Aber er hilft. Er nimmt den Schrecken. Jetzt, nach der Fasnet, sind ganze Familien „positiv“ und daheim, und in der Tat leiden die allermeisten an nicht mehr als an einer gewöhnlichen Erkältung. Ich kannte allerdings auch Leute, die es nicht überlebt haben, selbst dieses „harmlose“ Omikron nicht.
Dann der Krieg vor der Haustüre. Es war ja nicht unumstritten: ist unter diesen Umständen Fasnetfeiern überhaupt vertretbar? Ich fand, es ist. Ob Corona, der Krieg oder das Klima – es folgt Krise auf Krise, und ich will nicht das Leben absagen. Weihnachten gab es mit Corona, Urlaub mit Klimakrise - und Fasnet mit Krieg; jeweils den Umständen angepasst, aber eben doch. Was würde ich sonst den Kindern vermitteln? Dass sie in eine Welt hineingeboren wurden, die das Feiern nicht mehr erlaubt und aus der jede Leichtigkeit verschwinden muss, weil es als nicht schicklich gilt, das Schlimme und Schwere, das irgendwo in der Welt immerzu passiert, mal beiseite zu schieben? Sie sollen doch zuversichtlich sein können.
Meine Kinder tragen sämtliche Coronaregeln ohne viel Murren, wie ich auch. Und obwohl wir alle drei jeweils von ganz unterschiedlichem Naturell sind, hat jeder von uns diese Fasnet auf seine Weise genossen und nimmt von der Freude etwas mit hinein in den kommenden Alltag. Krisen kommen ungebeten, und mit ihnen leben, meine ich, heißt auch, Freude da tanken, wo es geht. „Die Freude im Leid“ eben - ich bitte drum - so heißt es im Narrenmarsch, die will ich dann auch.
Was kann ich auch tun. Ich weiß nicht viel über Russland und die Ukraine und kann kaum beurteilen, wo „gut“, wo „böse“ ist. Dass Putin einen Schaden hat, das war mir klar; das spricht aus seinen eigentlich lachhaften Machoposen. Grundgütiger – als Taucher mit nacktem Oberkörper, die Amphore, wahlweise der Barsch, in der Hand. Wäre er sexy wie einer der Chippendales, könnte er seinen Komplex anders regeln; so muss es halt Macht- und Größenwahn sein. Aber diesen russischen Großmachtkomplex, den hat er wohl nicht alleine. Auch sind die Nato und die Bündnisse des Westens ebenso keine Pfadfindervereine, wo es täglich um die gute Tat geht. Und doch hätte ich mit solcher Rigorosität, mit einem solchen Angriff nicht gerechnet. Es kommt mir so absurd und archaisch vor - einfach die Panzer aus der Garage zu fahren, ins Kriegshorn zu blasen und das Land zu überrollen, das man als „seins“ betrachtet, aus irgendwelchen Gründen, die tief in der Vergangenheit liegen. „Old fashioned“ nannte ein australischer Bekannter, den ich gefragt hatte, wie es ihnen geht nach der Flutkatastrophe, das. Noch so eine Krise. Eine Freundin, die ich über eben diesen Bekannten kennengelernt habe, hockt ohne Strom im australischen Outback und sagt, es sei ein Inlandstsunami gewesen, wie ihn noch nie jemand gesehen habe. Nun hat sie eine ausgeprägte theatralische Ader und liebt Übertreibungen, aber ich glaube ihr. Es gäbe keine Strassen mehr. Sie rationieren die letzten Liter Diesel für den Generator; sie wissen nicht, wann es wieder welchen gibt. Sie lebt weit draussen und hat deshalb immer genügend Vorräte an wenigstens Grundnahrungsmitteln, aber es gibt andere, denen wird’s knapp. „Old fashioned“ - passt eigentlich schon. Kriege kommen, leider, nicht aus der Mode, aber ich stelle mir dennoch vor, es müsste andere Wege geben, heute, wo die Welt über so viele Kommunikationswege und Netzwerke verfügt, wo sämtliche Belange so offen daliegen könnten, wo so viele doch eigentlich um andere Lösungen wissen und man sich darüber austauschen und darin helfen könnte. Wenn alle anerkennen könnten, dass die Welt sich stetig verändert und es keinen Anspruch auf ewigen Bestandsschutz gibt, stelle ich mir vor, ließe sich viel Streit vermeiden.
Ich versteh´s nicht, und ich wollte mich auch nicht damit befassen.
Auszeit. Muss man sich leisten können. Konnte ich. „Bis zum Aschermittwochmorgen“. Dann wieder.
Den Film „Narren“ habe ich lange nicht angeguckt. Er sei so narrenzunftkonzentriert, hatte es geheißen. Und ich hatte das als Gegenargument genommen und immer anderes vorgehabt. Und schließlich habe ich ihn zwei Mal gesehen und fand ihn toll und durchaus erhellend. Ich habe ja keine Ahnung wie das so aussieht in so ner Zunft und in solchen Männerbünden. Voll chauvi. „Krasser Scheiß“ würde meine Freundin sagen. Ich finde, das trifft´s, ohne „Scheiß“. Und doch ist der Film voll schöner Bilder und schöner Momente. Plötzlich auftauchende Gschelle, Bändel, die im Wind flattern, Schneeflocken, die auf Larven schmilzen und das Rössle in der Glükhergasse. Die Stadt von oben, die Kälte beißt auf der Haut beim bloßen Anblick; drumrum die Mauer, die Häuser kuscheln sich zusammen zur Trutzburg. Das Kauzige, das hineingewoben ist. Der Bub, der gerne klepft und Fasnet so gerne hat.
Ihn wünsche ich in ein Rössle hinein. Ja - ich wünsche mir wirklich Rössle mit Quoten. Weniger für mich selbst. Ich will mich gar nicht von zwei Treibern am Strick führen lassen, und ich will auch die blauen Flecken nicht, die man bestimmt davonträgt. Und klepfen wie ein Treiber kann ich schon gar nicht; ich bin ja froh, wenn´s mal durchzieht und ich einen einigermaßen Ton rausbekomme. Ein Rössle ganz in Frauenhand - so wild drauf wäre ich persönlich nicht mal dann. Dem Buben aber wünsch ich ein Rössle mit Integrations -und Einsteigerauftrag. Ein Wettbewerb - die besten Klepfer werden die Treiber. Und gemeinsam ziehen sie ihre eigene, neue Bahn. Und wer weiß - eine Narrenstube ist im Döner, und in der Ecke hängt ein Bildschirm, und eine Frau mit langen Beinen und Glitzeroutfit singt in Makam, dazwischen der Narrenmarsch. Wieso nicht. Klar, jeder, der will und das Geld hat, kann sich ein Rösslegespann machen/lassen und im Strassennarren damit unterwegs sein. Aber das ist, als schlüge man einem Wanderneuling die Besteigung des Matterhorns vor – der Schritt ist einfach zu groß.
Unsere Mutter hat uns den Weg in kleinen Schritten bereitet. Erst waren wir jahrelang Narrensamen, die ersten Bajasse waren quietschbunt, die Stoffe geschenkt oder aus der Restekiste, und wir haben sie geliebt. Bajasse haben wir lange überhaupt nicht als Narrenfigur verstanden, sondern wir waren kleine Clowns und konnten sein, wie wir wollten, pink und gepunktet oder regenbogengestreift, das „Huhuhu“ vorne oder hinten, ganz egal. Die schwarz-gelbe Uniform wurde es erst später. So haben meine Schwester und ich jahrelang stoisch gewedelt und uns auf den Kaba im Spital und im Möbelwagen gefreut, und auf das Bonbonsingen danach, das vortreffliche Entschädigung für das lange Warten und Frieren war bis der Sprung endlich weiterging. Den Kaba habe ich als Einladung verstanden, „mach mit“. Und das haben wir getan.
Das war die Zeit, in der neue Kleidle kaum zugelassen wurden und astronomisch teuer waren, Luxus, den sich die Familie lange nicht leisten konnte , aber leistete, sobald es irgendwie möglich war. Bis dahin waren wir Fasnet und Stadt dann so weit verbunden, dass wir auch eine Vorstellung davon hatten, was ´Narren´ ist. Oder sein kann. Denn freilich sieht es immer anders aus, je nachdem, wie es anfängt. Und das ist gut so. Es ist ja nun auch kein Fasnetstag wie der andere. So ging das, mit Einladung und Schritt für Schritt, und alle haben eine Fasnet.
Der Film „Narren“ also – ich fand ihn toll, und er hat Erinnerungen und Assoziationen geweckt. Und er gab was her fürs Reimen.
Wir haben gebangt und gebibbert, ob und wie das nun gehen kann am Schmotzigen. Die Vor-Fasnetszeit war wenig geneigt gewesen, Lust zu verbreiten. Es hatten sie nicht alle. Und jeder hat ein eigenes Empfinden von Vorsicht; es konnte einem derzeit auch zuviel sein, so als Gruppe durch volle Kneipen zu ziehen. Andere waren positiv und hofften auf baldige Genesung. Und die Vorbereitungen liefen einfach weiter. Ein Plan ist ein Plan, aber halt auch nicht mehr als das – bis zuletzt war alles ungewiss. Und dann also - „es geht“. Freude und Aufregung waren groß. Zum Proben waren wir kaum gekommen, kaum je komplett gewesen. Und selbst am Schmotzigen waren wir noch zu Teilen invalid. Die Hilfsmittel, die wir in Kostüme und Handgepäck verbaut hatten, füllen einen ganzen Arztkoffer.
Und dann war es ganz wunderbar. So groß ist mein Vergleich nicht, aber es war schon zu spüren, dass es dies Jahr anders war – speziell - mit den Jahren, in denen alles selbstverständlich ist und die ganze Stadt unterwegs zu sein scheint, und sämtliche Kneipen und volle Säle „Gruppe um Gruppe konsumieren“, wie es wer ausdrückte, nicht zu vergleichen. Alle, Zuschauer und Akteure, waren dankbar und freudig. Es war so schön, überhaupt zu sein, wo man war. Wenn einem da nicht nach Singen ist -. Den ersten Auftritt hatten wir bei einer Freundin mit lädiertem Bein. Das war ein passender Auftakt. Dann durch sparsam besetzte Säle und gut besuchte Kneipen die Stadt abwärts, überall war es „besonders“, für alle, einfach, weil es war. Die Freude war grandios. Unser Abschluss war im Schwarzen Lamm. Da hatten wir unser Programm dann bestens drauf, keine der Aufregung und fehlenden Proben geschuldeten Hänger mehr, und die geballte Freude trug von allein. Nach uns „Nahtlos“, die ich mega fand, die alle mega fanden, die alle berührten und mitrissen. Schließlich zusammen gesungen, und sie hörten gar nicht auf Musik zu machen, bis alle sangen und tanzten und allen brach die Freude aus allen Poren. Das war sie, die Glückseligkeit, die so inbrünstig beschworene. Wenn ich in Jahren an die Fasnet 2022 denke, werde ich zuallererst an diesen Moment denken.
Es kamen noch weitere.
Gesungen, getanzt, getrunken, gelacht und geflirtet – irgendwann reichte es. Die Füße waren eh hinüber, die Schuhe sowieso. Schuhe – ich habe mich mit dem Pfarrer darüber unterhalten, welche Schuhe er wozu trägt, und ob Flipflops gehen oder nicht. Für ihn nicht - sagte er, nicht ich; meinetwegen könnte er ruhig Sonne an die Zehen lassen. Nach ein paar Stunden Schlaf wieder ins Schwarze Lamm, zu Linsen-Spätzle und Schorle, und aus dem „nur eins noch - ich will im Hellen zuhause sein“, wurden so viele, dass ich den Überblick verloren habe. Es war längst dunkel als wir gingen, nach Stunden am Tresen in ganz kurioser Mischung aus halb betrunkenem Lettengschwätz, oberflächlichen Jokes und tiefgehenden Betrachtungen mit Leuten, die ich bis dahin mitunter gar nicht gekannt hatte. Auch ein paar Wow-Stunden. Weiter gezogen, weitere Schorle. Das letzte war zuviel, ach, die letzten zwei oder drei oder – egal.
Daheim Nachrichten auf dem Display. Der Bub hatte sein Fasnetsfest nicht gefunden, auf das er sich so gefreut hatte, und ich war nicht da, um zu helfen. Tat mir so leid. Die Nachbarin hatte sich ausgesperrt, und ich hätte einen Schlüssel gehabt. Auch blöd. Erstmal baden und dann ins Bett. Am Samstag aufgewacht, noch immer müde, und wieder „Anruf verpasst“. Ich rief noch im Bett liegend zurück. Die Freundin, zu der ich am Fasnetsdienstagmorgen mit Oma und Opa hätte gehen wollen, um den Narrensprung von ihrem Fenster aus zu sehen – anders packt die Oma das nicht mehr – sagte ab. Sie ist aus der Ukraine, und ihr Mann war unterwegs, um Frau und Kinder seines Freundes von der Grenze abzuholen, nach sorgenvollen, schlaflosen Nächten selbst mit den Nerven runter. Der Freund darf das Land nicht verlassen, er ist eingezogen um zu kämpfen. Wir heulten beide am Telefon. „Tu dich nicht entschuldigen. Bitte. Das ist nicht der Moment, um aus dem Fenster zu juchzen“. So sieht´s aus. Zumindest an diesem Fenster. Wir haben uns mit Worten umarmt und aufgelegt, „bis bald“. Und weiter ging es. Für den Samstag standen die Vorbereitungen für die kommenden Tage an, einkaufen fürs Bajassumzugsersatzfest - die Deko hing noch von den Kindergeburtstagen, kein schwarz-gelb -, dann Kleidle holen und alles richten ... . Mein Gewissen ist nicht ganz rein darüber, die Fasnet gefeiert zu haben, während nicht weit weg Mütter ihre Kinder in Sicherheit bringen und Väter in den Krieg ziehen. Aber ich würd´s wieder tun.
Die Larve vom Kinderhannes ist zu klein. Mist. Das sind so die Tücken, Details, für die es mehr Erfahrung braucht. Umhang und Hose sind so genäht, dass man an allen Ecken und Enden rauslassen kann und sie theoretisch noch passen müssten bis in die großen Kleidle hinein. An die Größe der Larve hatte ich nicht gedacht, dabei wäre die das Maß aller Dinge gewesen. Vielleicht passt ein anderes. Schnell alle eingepackt. Mittlerweile besitzt die Familie einen stattlichen Fundus. Schon schön. Mit vielen Sicherheitsnadeln bekämen wir es eventuell hin, hoffte ich.
Sicherheitsnadeln waren ausverkauft. Aber die Gäste brachten mit. So schnell gehen die mir nicht mehr aus.
Sonntag. Bajassumzug war immer schön. Aber die Party war auch prima. Wir hatten zwei Hörner zu Gast -man kennt sich von der Zuckerrübenernte, eine Trompete, die sich um ihren Ansatz keine Sorgen machen sollte - ich finde den ganz prima, eine zauberhafte Querflöte, und selbst eine Trommel aus der Instrumentenlade – so hatten wir eine kleine Kapelle beisammen. Dazu Bajassweiß, Berliner, Linsensuppe und Sekt und Gäste, die, wie die Fasnet es gerne mit sich bringt, so zusammengesetzt waren, dass es für alle „neu“ war - was brauchte es mehr. Es entstanden dates und es gab neue Ideen, und es wurde geredet ohne Punkt und Komma, irgendwann auch von denen, die sonst gar nicht so reden, und die Kinder hatten ihre eigene Party dabei und empfanden das eigene Tohuwabohu als Sinnbild gehabten Spaßes, und so lange sie den wirklich haben und das Tohuwabohu zu bewältigen ist, geht das auch klar. Der Sekt reichte bis Mitternacht. Dann war ich auch müde – das Eigentliche käme ja erst noch.
Während der Party ein Anruf - meine Mutter war gestürzt, daheim im Wohnzimmer. Es war nichts passiert. Trotzdem – irgendwie war es das halt doch. Noch so ein Moment. Freud und Leid liegen verflixt nah beisammen.
Fasnetsmontag. Mit der Entscheidung der Narrenzunft, Narrensprünge stattfinden zu lassen, war ich durchaus einig. Und dass sie unterschieden zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern, das fand ich nachvollziehbar. Irgendwie müssen sie´s ja regeln. Und irgendwer schreit immer. Ich fand, sie haben das sehr gut gemacht. Ich bin nicht Mitglied. Bin ich selbst schuld.
Ich habe dann doch noch zwei Sprungkarten bekommen, für Dienstag.
Am Montag habe ich das Zugucken gestrichen. Wir hatten als Anwohner Karten, aber ich schlief nach dem letzten Anruf schlecht und hatte nachts den Wecker ausgemacht. „Das hat so keinen Sinn“. Das Mädel war im Aufwachen darüber traurig. „Lass uns straßennarren“, tröstete ich, und so nahm sie es an. Es hat geklappt – jedes hatte ein Kleidle. Bei diesem ersten Mal anziehen haben wir – und das unter Mithilfe einer Freundin, die gerade vom Sprung nach Hause ging – eine satte Stunde gebraucht bis alles gepasst hat. Aber es passte. Yeah. Das Mädel narrte das erste Mal, der Bub war bislang immer Hannes gewesen, diesmal mit Narrenwurst und Korb statt Stecken unterwegs, und ich hatte das erste Mal ein Narrenbuch. So viele erste Male. Tief durchgeatmet und nix wie los. Ich „übte“ an ein paar Leuten, die mich - hoffentlich - nicht so gut kennen, dass sie sofort die Satzmelodie zuordnen können – woran, wie mir gesagt worden war, man mich stets erkennt. Son Mist. Irgendwann sing ich unter der Larve, da gibt sich das dann mit der Melodie! Ich fand uns prima, alle drei. Die Kinder waren großzügig, der kleine Hannes zauberte aus der Hosentasche, und unsere Körbe waren im Nu leer. Wir gingen heim und zogen uns um. Die Sonne schien noch in die Hauptstraße, die Stadt ein Fest, und das Mädel sang selbst und freute sich, wenn ein Narr so großzügig war wie sie selbst noch kurz zuvor. Schön war´s.
An der Fasnet komme ich mit ganz anderen Leuten zusammen als unterm Jahr und auf ganz andere Weise. Ich finde das große Klasse. Der Tag war gut gewesen, der Test negativ, somit der Dienstag gebongt, die Oma war wohlauf. Die folgende Nacht haben wir gut geschlafen.
Dienstag. Wir hatten zwei Karten zum Narren. So schlief der Bub, dem eh nicht so wohl war, und das Mädel und ich richteten uns zum Sprung am Dienstagmorgen. Ich war stolz wie Bolle, wie geübt und routiniert wir das schon hinbekamen und das so was von auf Zeit. Da war´s noch nicht mal schlimm, dass sie „ich muss aufs Klo“ sagte, kaum, dass alles angezogen und festgezurrt und der Korb gegriffen war. Wir standen pünktlich am Tor und sahen, wie der Zeiger auf acht Uhr rückte. Chacka.
Es ist schon ein besonderes Gefühl durchs Tor zu narren. Das ist wohl auch der Moment, an dem ich unter der Larve ankomme und eins werde mit meinem Kleidle. Von da an bin ich ein anderes. Aber toller als das war mir die Freude, das Mädel zu sehen. Ich konnte nicht viel aufsagen, ich war beschäftigt, sie im Auge zu behalten – und ihr Täschchen nachzufüllen. Das war ihre Idee gewesen. Am Montagabend hatte sie mir Schleife und Täschchen gebracht – es war bereits ein Luftballon dran, aber wenn sie keinen Kalbsschwanz am Stecken haben kann, dann außerdem dies! Und sie hat großzügig Gebrauch davon gemacht. Ich war entzückt. Sie war ein toller kleiner Narro, ließ singen und schnupfen, trieb Schabernack und hüpfte und sprang, als hätte sie das schon hundert Mal getan. Als wir unten waren und die Larve hochnahmen, sagte sie „ich hab ganz vergessen, dass ich die Larve aufhabe“, so eins ist sie gewesen mit ihr. Und „sie will das unbedingt wieder tun!“ Am Besten sofort. Das ging so freilich nicht - aber anders. Wir besuchten die Freundin mit lädiertem Bein, sagten auf, liehen ihr Auto, fuhren zu den Eltern, sagten der Mutter am Bettrand sitzend auf, ein paar Protagonisten im Narrenbuch erkannte sie gut, wir ließen schnupfen, halfen in die Schuhe, führten zum Frühstückstisch und brachten das Auto zurück und gingen heim. Und da hätte ich gerne etwas ausgeruht - da war der Bub dann aber fit und wollte nochmal straßennarren. Da wollte ich dann auch nicht „nein“ sagen. Die Bonbons waren aus, ratzeputz aus. Also nochmal los zum Edeka. Dort traf ich den Mann meiner ukrainischen Freundin. Er war zurück von der Grenze, alle waren wohlbehalten bei ihnen und die vier Kinder am Vortag schon auf der Fasnet gewesen, „Narro kugelrund“ ist schnell gelernt. Und ich dachte, vielleicht ist es gut so. Vielleicht haben diese Kinder so noch eine Leichtigkeit im Schlimmen erfahren, die ihnen hilft. „Es ist nicht alles aus. Es gibt noch Freude“.
Wir waren nochmal straßennarren, und das fand ich ganz prima. Der Dienstagmittagsprung fehlte mir kein bisschen. Im Gegenteil. Der kurze Sprung am Morgen reichte mir vollauf und ließ dem Narren viel mehr Raum. Überhaupt gefällt mir die Freizügigkeit, die plötzlich drinsteckte. Der kleine Federahannes konnte sich selbst überlegen, was er mit seinem Stecken macht und wurde ein bisschen zum Narren-Wolpertinger, mit Täschchen und goldener Schleife und Lollies in der Hosentasche. Das ist wie ich mit meinem pinkfarbenen Bajass und dem Kaba - manche Schritte fallen leichter, wenn es leicht gemacht wird. So genossen wir alle sehr und freuten uns an der Freude derer, die wir beglückten. Schließlich leerten sich auch diese Körbe und wir gingen heim, zogen uns um und genossen den restlichen Nachmittag zivil verkleidet vor dem Rathaus mit der Sonne im Gesicht und Sekt in der Hand. Die Sonne ging unter und wir rein zum aufwärmen. Aber als es auf sechs Uhr zuging, kamen wir wieder. Dienstagabend. Ich liebe den musikalischen, schunkelnden, singenden, juchzenden Ausklang vor dem Rathaus, und ich fand kaum vorstellbar, dass er dies Jahr, in dem alles anders aber eben DOCH war, nicht sein sollte. Aus einem Fenster oberhalb des Schwarzen Tores drang der Schneewalzer. Hatten wir es verpasst? Nein. Es war noch lange nicht sechs. Wir gingen zum Rathaus und warteten und warteten. Dreiviertel sechs, zehn vor, fünf vor. Um sechs muss doch Schluss sein. Kommen sie noch? Es standen ein paar Musikanten mit ihren Instrumenten herum. Die gefragt. „Sie sind seit morgens unterwegs und nur ´so da´“. Aha. Soda-Musikanten spielen nicht. Der Lange Mann ging die Hauptstrasse hinauf und wandte sich nach rechts und links, als wollte er gucken, in welcher Stube sich die Musik versteckt hatte. Er fand sie nicht. Es wurde sechs. Und schließlich begann es zu singen. Vielleicht haben die Herren von der Narrenzunft, die auf dem Balkon am Schädle standen, angefangen. Es dauerte ein paar Takte, bis es zu uns gedrungen war. Aber dann sangen wir nach Kräften mit. Ein letztes Huhuhu. Kapelle wäre schön gewesen, aber so war es auch okay.
Daheim weinte das Mädel bitterlich. Sie wollte nicht, dass die Fasnet vorbei sei. „Nur ein Tag noch!“. Und „jetzt Fastenzeit!“; sie könne sie nicht leiden, sagte sie. Worüber ich mich wunderte. Wir haben da nie eine große Kiste draus gemacht. Vielleicht war es Müdigkeit, vielleicht eine Art Zuckerschock - ich fand haufenweise Süßipapierle in ihrem Zimmer. „Es gibt wieder Fasnet!“, tröstete ich. „IN EINEM JAHR!“ Das ist ewig, wenn man acht ist, das verstand ich. Sie klagte und war untröstlich. Aber dies „Fastenzeit“. Verstand ich nicht. Woher hat sie das? Ich hatte mal erwähnt, wir könnten süßgkeitenfreie Tage einbauen - wenigstens zwei die Woche. Ich wollte es nicht zurücknehmen, auch angesichts ihrer Tränen nicht. Herrje, zwei Tage die Woche ganz ohne Süßigkeiten, das ist nicht schlimm, das ist doch nicht „gefastet“; andere essen Süßes ganzjährig nur einzwei Mal die Woche. Wir sahen einen Film, und sie beruhigte sich.
Ich für meinen Teil war zufrieden. Eine Woche lang ist alles außer Rand und Band, jeder Tag so voll und intensiv, dass ich es gar nicht alles aufnehmen kann. Da finde ich gut, dass die Fasnet so zuverlässig ein Loch hat. Das hielte ich gar nicht aus sonst.. Im Einschlafen spürten wir alle noch die Larven auf dem Kopf.
Eine ist vom Tisch gefallen. Ausgerechnet Mutters Lieblingslarve. Auch die meine. „Wie ist das passiert?“ Keiner hat was gesehen. Sie lagen eng, aber fein aufgereiht auf meinem sortierten Schreibtisch. Aber dann war halt doch so viel Trubel, war die Bude voll, waren sie aus – und angezogen, aus – und wieder an, und nochmal Gäste, und der Kater zwischendrin... Ich habe geschimpft, aber auch nicht zu sehr - was soll das bringen. Es ist, wie´s ist. Jetzt hat sie eine Schramme an der Nase. Es ist bestimmt nicht die erste und einzige Larve mit einer Schramme. Wird man ja hoffentlich richten können. Wir überlegten. Was wird Oma sagen? „Wir bringen die Larve vorher zum Richten!“ Was kostet das? „Mehr als zehn Euro?“ Das ist so das derzeitige Taschengeldbudget. „Bestimmt!“ Was DARF so was kosten, was ist eine Larve wert? So eine Larve, waren wir dann einig, ist aus Holz, nicht aus Gold oder so, also „so riiiiechtig wertvoll“, aber sie ist eben auch mehr als ein Stück bearbeitetes Holz. Sie ist alles, was wir hineinpusten und – aufsagen, was wir hineinfühlen und -legen; sie ist alles, was wir ins Kleidle schwitzen und jucken und narren. Und sie ist überhaupt ein bisschen wie wir – sie hat auch mal ein Aua. Und manche Auas sieht man noch lange. Die gehören dann dazu. Wir entschieden uns für einen Mittelweg zwischen Heiligkeit und Lässigkeit. Jetzt muss ich halt herausfinden, wer das wie richten kann, und muss außerdem herausfinden, wie ich die Hose des Schantles sauber bekomme. Diese bescheuerte Bratwurst! Beim Reinbeißen dachte ich „das geht nicht gut!“.
Nach der Fasnet ist vor der Fasnet. Ich wasche und räume noch immer auf. Als der Schreibtisch wieder zugänglich war und ich ins Kassenbuch eintrug, was ich wofür ausgegeben habe, fiel mir der Antrag für die Mitgliedschaft in der Narrenzunft in die Hände. Ich habe ihn jetzt ausgefüllt. Muss ihn nur noch um die Ecke tragen.
Und jetzt soll wieder Alltag sein. Auch ohne Fasnet – das Leben ist schön. Das finde ich und dabei bleibe ich, so lange ich irgend kann. Und das Schöne soll stattfinden, wo immer es geht. Wohin soll es auch sonst gehen? Die ganzen Kriege und Krisen bestimmen das Dasein. Aber eben auch nicht alles. Im Osten werden AKWs bombardiert. Es gibt nichts, was das rechtfertigt, gar nichts. So eine Politik darf nicht gewinnen. Da will ich unbedingt die Stirn bieten, und das geht nicht anders, als mit
„Kopf hoch“. Und in diesem Sinn und Stil geht’s also jetzt „dagegen“.