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Lieben heisst loslassen können

So ein Schmarrn
copyright Rottweil ist überall

Vielleicht sind es diese trüben Herbsttage, die solche Abschiedsgedanken mit sich bringen. Ich lasse den Sommer nur ungern dahinziehen. Ihn würde ich gerne festhalten, am Liebsten bis kurz vor Weihnachten. Aber es geht nicht, und so bemühe ich mich nach Kräften, den Zauber eines nebligen Herbstmorgens zu fühlen, das bunte Laub zu genießen und den Geruch nach nasser Erde. Glühwein riecht auch nicht schlecht, und abends für Freunde zu kochen ist ein guter Ersatz fürs Draussensitzen. Es ist wieder so früh dunkel, und auf dem Friedhof brennen die Kerzen.

Lieben heißt loslassen können. War mal ein Buchtitel eines viel gelesenen Buches. (Vielleicht hätte ich es lesen sollen, aber ich mochte schon damals den Titel nicht). Natürlich muss ich loslassen - den Sommer, Gewohnheiten, die mir nicht guttun, Emotionen, die im Weg stehen, Menschen, die es nicht gut mit mir meinen. Kann und darf ich alles loslassen.  Und natürlich darf ich andersrum keinen an die kurze Leine nehmen. Jeder bewegt sich wie er will, solange dadurch nicht grobfahrlässig Leid geschieht.

Ich kenne eine Frau, die tatsächlich nicht loslässt. Die heult jedem Mann ihres Lebens jahrelang hinterher, dem letzten und dem vorletzten und auch dem vorvorletzten - wir sind nicht mehr ganz jung – es gab mehr als einen. Die trauert und hadert und weint und lässt sich schließlich auf ein Neues ein, und dies Neue guckt man an und denkt, das wird wieder so eine Heulgeschichte. Da ist das Heulen praktisch schon hineingewoben. („Er liebt mich, aber er weiß es nicht, und er kann nicht, und etwas hindert hin“, und sie muss diese Blockade aufbrechen, zu seinem eigenen Besten, so in dem Stil). So viele unerfüllbare Erwartungen. Vielleicht müsste sie diese mal loslassen, dann sähe sie den Menschen besser, mit dem sie es zu tun hat. Ich weiß nicht. Aber ich glaube, es sollte beim Lieben nicht zu sehr um die eigenen Hoffnungen gehen, jedenfalls nicht in Abhängigkeit davon.

Mit den Kindern hoffe ich, aber ich kann nur bedingt lenken und schon gar nicht festhalten. Will ich auch nicht. Sie werden größer und bewegen sich selbständiger, und manchmal gefällt mir das Wie, manchmal nicht. Aber es ist prima, denn darum geht es doch – dass sie lernen, souverän ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Ich lege auch da ´Beistand´ großzügig aus. Es heißt, man solle bei den Hausaufgaben bestenfalls und maximal auf Anfrage helfen, sie aber nicht mitmachen. „Es sind nicht Ihre Hausaufgaben!“, fette Mahnung der Lehrerin. Ich rede trotzdem manchmal von ´jetzt machen wir-´. Es sind Hausaufgaben, und wir sind alle zuhause, und irgendwie ist es ja doch eine Familienangelegenheit, das irgendwie geregelt zu bekommen, also weshalb sollten wir es nicht auch so angehen. Ich habe das Gefühl, sie brauchen diese Art von Beistand. Wir machen das zusammen.

Die Eltern werden älter und neigen sich der eigenen, inneren Welt zu. Auch die kann ich nicht aufhalten. Et kütt wie et kütt un so kütt et ooch. Steht auf dem Grabstein einer Kölnerin, die es ins Ländle verschlagen hat und die ich mal betreut habe. So ist es. Es kommt wie´s kommt. Das allermeiste kann ich eh nicht aufhalten. Aber deshalb loslassen? Die Hand zurückziehen? No way!

Einer, den ich noch immer liebhabe und der mir nahesteht, ist vor vielen Jahren gestorben. Das weiß ich wohl. Ich stehe regelmäßig am Grab. Aber losgelassen habe ich ihn nie und habe das auch nicht vor. Ich spüre bis heute seine Präsenz, er ist Teil meines Lebens, und das ist gut so.

Ich habe - auch vor vielen Jahren - mal eine Ausbildungsstelle nicht bekommen, weil man mir unterstellte, ich machte mir die Probleme meiner Mitmenschen zu Eigen. Hab ich damals ziemlich blöd gefunden und sehe es auch heute anders – ich verfüge über einen verlässlichen und stark aufgestellten Selbstschutzmechanismus. Und selbst wenn es stimmen sollte, dann sehe ich das Problem nicht: das ist Anteilnahme. Die Hand reichen. Das Päckchen tragen helfen.

Da ist einer, dem hat´s den Boden unter den Füßen weggezogen. Unter dem hat sich ein Abgrund geöffnet, und der zieht ihn runter und runter und immer weiter runter, und er ist schon so weit unten, dass er zwar weiß, irgendwo über ihm gibt´s noch Licht - aber nicht für ihn. (Ich stelle fest, ich hatte bis jetzt keine Ahnung, was ´Depression´ ist. Ich hatte immer so ein ´mimimi´ von sich selbst bemitleidenden Leuten im Ohr, die die eigenen Wunden nicht aufhören zu beweinen, anstatt diese mal heilen zu lassen. Das, sehe ich jetzt, ist was ganz anderes.) Der ist mich schon angegangen, müsste mich jetzt vielleicht gar nichts mehr angehen, weil er zu seinem eigenen Schutz anderswo ist, wo andere zuständig sind, und das kann ich frank und frei respektieren und gutheißen. Aber ich will die Hand nicht zurückziehen. Erst konnte er sie noch halten, sie annehmen und sich freuen. Jetzt spüre ich, wie er loslässt. Das sagt er auch so. Bedankt sich für die Hand und sagt, sie hilft nicht mehr.  Ich ziehe trotzdem nicht zurück. Ich kann nicht, und ich will auch nicht. Ich streck sie ihm weiter hin und manchmal greife ich seine, desinfiziert versteht sich, aber ich nehme sie. Wer wäre ich, wenn ich einfach losließe?  Ich will mir das überhaupt nicht vorstellen.

Ich bin mit offenen Türen aufgewachsen. Meine Mutter erzählt heute noch - täglich mehrmals - wie schön es war, wenn sie vorne die Türe aufmachte und die nach hinten genauso, damit mehr reinkonnten und auch Keller und Garten noch voller Gäste waren. Die meisten kamen zum gemütlichen Beisammensein, aber es waren auch ein paar schräge Vögel in Not dabei. Ein Flüchtling aus Ägypten, der sich dort dem Christentum zugewandt hatte, weil er sich von diesem mehr Freiheit versprach. Den hab ich mal abends mit in die Disco genommen, wo er fand, ich tanzte zu schnell. Mir dann egal woher und wieso – wer meint, mein Tanzen beurteilen zu müssen, der kann mich mal. Er schien ein verwöhntes Bürschchen aus wohlhabendem Hause, und ich hoffe, er hat einen Weg gefunden. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Dann gab es einen Sizilianer auf der Flucht vor den Verwandten seiner Frau, die er sitzen gelassen hatte. Den brachten wir in einer Pizzeria unter, von der aus er eine Odyssee durch die italienischen Restaurants Süddeutschlands antrat, wodurch wir häufig in den Genuss von prima Pizza kamen. Der hat meine Eltern lange besucht. Wie auch ein recht Durchgedrehter, der sich von allem möglichen und dem Teufel höchstpersönlich verfolgt gefühlt hatte. Der kam regelmäßig und hielt auf dem Laufenden, wer ihm gerade wie mitspielte, und bekam eine warme Mahlzeit und eine Dusche. Irgendwann hat er Platz und Weg gefunden es auszuhalten.  Keinem hat man die Türe vor der Nase zugemacht, keinem die Hand weggezogen. Ein ganz Junger kam, der völlig heimatlos und verlassen war, und der so viel Grund für Angst und Misstrauen hatte, dass er schließlich wissen wollte, wie weit er gehen muss, um wieder fortgeschickt zu werden. War starker Tobak. Er wurde nie weggeschickt und ist heute ein ganz Toller.

Manchmal hat es meine Eltern bestimmt viel Kraft gekostet, oft viel Geld, und ganz sicher hat es viel Unruhe mitgebracht und sogar bisweilen in den Grundfesten erschüttert, dies Nicht-Loslassen. Aber am Ende, glaube ich, hat es mehr gegeben als genommen. Meine Mutter zehrt heute noch davon. Das ist großer Bestandteil der Schatztruhe ihrer Erinnerungen - die in Bildern und Worten entschwinden. Die Wärme aber, bin ich überzeugt, die bleibt.

Wenn ich schon nicht festhalten kann, und auch nicht darf, dann soll das Letzte, das wer mitnimmt, eben die Wärme einer gereichten Hand sein. Wenigstens dies. Desinfiziert, aber nicht entzogen.

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