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Von der Schwierigkeit zu helfen Teil 1

Mein gambischer Freund
copyright Rottweil ist überall

„Good morning my friend, how are you?“ werde ich jeden Morgen begrüßt, vielmehr - wurde. Ich habe den Kontakt abgebrochen. Nicht wegen der netten Begrüßung morgens. Sondern weil sie gefolgt waren von unzähligen „help us“, „save us“, „we are starving“, „you are the only one to give us hope” bis „send us money“, und ich bin auf diesem Ohr keineswegs taub, aber a) habe ich so viel Geld gar nicht, wie es da Familienmitglieder zu retten gäbe, und b) hat es nicht gestimmt. Mein gambischer Freund hungerte nicht, und ich denke, seine Familie auch nicht.

Ich habe ihn über Twitter kennengelernt. Plötzlich hatte ich einen Follower in Gambia, und weil man sich über Twitter auch persönliche Nachrichten schreiben kann, bald persönlichen Kontakt.

Es ist ja, nebenbei, schon seltsam, wie Kontakte mitunter heute entstehen. Ich bin auf einer Kommunikationsplattform, weil ich mich für Politik und Gesellschaft interessiere, und ein mir völlig fremder, geheimer Algorithmus steuert, mit wem ich in Kontakt komme. Und ich kann nicht beurteilen, welches Verhalten von mir welche Reaktion im Algorithmus auslöst. Das wissen nur dessen Programmierer. Eigentlich ist das ziemlich unheimlich, und ich schließe mich der Forderung an, dass die Social-media-Konzerne ihre Algorithmen offenlegen. Dies world-wide-web ist eine faszinierende Welt, an der ich gerne teilnehme, aber ich will wissen, nach welchen Regeln sie funktioniert. Alles andere ist nicht fair. Es kam schon vor, dass mir Leute gefolgt sind oder Freundschaftsanfragen schickten, je nach Plattform, und wenn ich dann auch folgte oder die Anfrage annahm, dann kam später eine  Meldung „xxx folgt dir jetzt zurück“. Da fühle ich mich dann verschaukelt. ICH war doch die, die ´zurückfolgt´. Seltsam.

Jedenfalls hatte ich Kontakt zu J… oder auch E… – je nachdem, welchen Account er benutzte. Und ich erfuhr, dass sie sechs Geschwister sind, der Vater gerade gestorben ist, er kann seine Schule nicht abschließen, weil sie das Schulgeld nicht aufbringen können. Sie haben Hunger. Es ist Lockdown. Nichts geht mehr in Gambia….

Nebenbei: ich finde es eine Ungeheuerlichkeit, dass gerade in den ärmsten Ländern der Welt, wo die einzige Chance auf Besserung in mehr Bildung liegt, die Schulen Geld kosten. Ich halte das für einen himmelschreienden Skandal. Wie kann das sein?

Am Ende habe ich auch den Überblick über die Familie verloren. Was mir egal war, und ist. Familie wird in Gambia vermutlich anders definiert als in Deutschland, und es war mir auch ganz egal, ob und wann der Vater gestorben ist. Ich habe im Internet über Gambia gelesen und erfahren, dass es also sehr arm ist, und sehr korrupt, und also ist die Not glaubwürdig, egal, wie sie einer darstellt. Heißt es nicht immer, „Fluchtursachen bekämpfen“? „Den Menschen vor Ort helfen?“ Wenn es so direkte Wege gibt – weshalb nicht. Ich habe mit Western Union etwas Geld überwiesen und genoß kurz das Gefühl der guten Tat. Ich bekam ein Foto von einem jungen Mann, der einen Sack Reis schleppt. Das hätte ich nicht gebraucht, aber was soll´s. Ich war etwas irritiert, weil sich plötzlich Accounts mischten, die ich zuvor gar nicht zusammengebracht hatte, und dann war der Vater im letzten Jahr gestorben, nein, doch in diesem, und ich bekam das Foto eines weinenden Jungen, dann eines Babys mit Brandverletzungen, für das man Medikamente braucht, „sein Bruder“. Nun tut mir jedes leidende Kind leid, egal mit wem es wie verwandt ist, aber ich habe mich doch gewundert – „noch ein Bruder?“. Nein, es sei das Nachbarskind. Die Not wurde immer mehr und immer größer, und ich schrieb, es tue mir sehr leid, aber sie sei zuviel für mein Budget. Bestenfalls könne ich die Schulgebühren übernehmen. Ich hatte recherchiert – das sind überschaubare Beträge, und außerdem planbar. Das geht. Er solle mir Adresse und Kontakt der Schule schicken, damit ich das  klarmachen kann. Dann schrieb er, „he changed his mind“, er lasse das mit der Schule, er wolle ins Donkey-Geschäft einsteigen. Schrieb´s und schickte mir Fotos eines Packesels, frontal, seitlich, mit Ladung und ohne. Ob ich irgendeine Idee hätte. „Sorry. I´ve got no idea about Donkeydeals in Africa“. Ich wolle mich da auch nicht engagieren.

Ich hätte all diese Fotos nicht gebraucht. Ich will auch gar keine Babys mit Brandverletzungen sehen. Kurz erinnere ich mich an den Film „Slumdogmillionär“ und an die Leiden, die Kindern zugefügt wurden, damit sie mehr Geld beim Betteln bekommen. Die Grausamkeit der Menschen kennt keine Grenzen. Den Film habe ich gesehen und gebe trotzdem den rumänischen Bettler*innen oft Geld, weil ihre Not akut und real ist, auch wenn sie einer Bande angehören, die skrupellos mit dem Betteln Geschäfte macht. Irgendwann, hoffe ich, funktioniert die EU so gut, dass es allen in Rumänien besser geht. Aber Gambia ist nicht EU, und die Not dort ist auch akut und real, wenn der Vater noch lebt, das Baby gesund ist und der Bauch nicht knurrt. In einem armen, korrupten Land sind nicht- privilegierte, junge Leute in einer ausweglosen Situation. Das ist Not genug.

Ich will nicht kolonial-feudal auftreten und anderen vorschreiben, was sie zu tun haben. Der, der in Not ist und Hilfe braucht, muss sagen, wie ihm zu helfen ist, nicht der Helfende. Zumindest in einem einigermaßen gesunden Verhältnis ist das so. Aber ich kann eben auch nicht auf jeden Hilferuf reagieren und Geld schicken. Ich kann ihm das Drängeln und Bedrängen im Grunde nicht vorwerfen, aber ich kann es auch nicht leiden.  Irgendwann schreibe ich „Stop hassling me like that“ und finde das selbst ziemlich daneben. Denn plötzlich wird aus dem guten Willen ein hartherziges Sich-wegducken. So komme ich mir jedenfalls vor und weiß doch, dass es anders ist. Ich muss haushalten, auch mit meinem Engagement. Ein Schulbesuch ist langfristig geholfen und liegt im Rahmen, bei allem Weiteren muss ich passen.  - Ich blieb dabei. Dann kann ja eines der jüngeren Geschwister. Von denen sei keines in die Schule gegangen, hatte er anfangs erzählt, weil das Geld, auch während der Vater noch da war, nur für einen reichte, aber sie wollten alle – und jetzt hieß es „they do want to back to school, but first we need food“. Wie jetzt – „go back“ ?  - ich denke, sie waren gar nicht?

Ich hatte einen Follower, dem ich dann auch folgte, weil ich die Tweets in seiner Timeline ganz gut fand, und er „folgte mir zurück“, was mich wunderte – siehe oben - und dann schrieb er eine Nachricht, dass er auch J…/E… folgt und ihm schon Geld geschickt hat und ob wir uns da nicht absprechen könnten. Eine gute Idee eigentlich, aber jetzt mal langsam – wie war das? Am Ende waren die Geschichten zwar ähnlich, aber sie passten hinten und vorne nicht zusammen, dazwischen war viel Unwahrheit und die knurrenden Mägen hat es so wohl nicht gegeben.

Der Notsuchende muss nicht alles offenlegen, das tut der Reiche auch nicht, aber ich dachte, dieser  junge Gambier hätte einfach bei der Wahrheit bleiben können, es wäre einfacher gewesen und effektiver. Diese Lügengeschichten, die funktionieren ein paar Mal, dann fliegen sie auf und es ist vorbei und er muss neue Spender*innen suchen. Also hat er es schwer, und ich auch, weil ich also nun auf Zweifel geeicht bin. Wenn ich von Unehrlichkeit ausgehen muss, dann kann ich nicht mehr einschätzen, dann kann es auch sein, er IST privilegiert und vertreibt sich seine Zeit, oder er arbeitet für andere, die ein System daraus machen und selbst gar nicht in Not sind, dann ist die eigentliche Not eine ganz andere, …. Dann kann ich zwar davon ausgehen, dass die Situation übel ist, aber meine vermeintliche Hilfe hilft gar nicht und ich schmiere in Wahrheit einen fetten Hintern. Will ich auch nicht. Ach - wahrscheinlich ist es nochmal anders. Aber fest steht - am Ende ist Unwahrheit kontraproduktiv.

Ich mache J…/E… - vielleicht heißt er auch M… oder T… , egal - keinen Vorwurf. Ich bin nach wie vor sicher, es IST eine Not, und das Lügen ist nicht die Natur des Menschen, mit dem ich es zu tun habe, sondern er agiert aus einem Kontext heraus, in dem Lüge überlebensnotwenig ist. Korruption und Gier nach ´mehr´, Wachstumsphilosophien und unfaire Verhältnisse erheben Unwahrheit zum System.  In jedem steckt Gutes wie Schlechtes, und je nachdem, wie ein System gestrickt ist, kommt eher das Eine oder das Andere zum Tragen. Wir leben in einer ungerechten Welt, und wir müssen uns mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Und ich finde es nicht nur legitim, sondern auch angebracht, über Systemwechsel nachzudenken. In einer globalisierten Welt müssen wir die Welt global betrachten. Manche Zustände sind einfach nicht tragbar.

Das mit dem Schulgeld mache ich nun nicht. Vielmehr, ich mache es, aber anders. Sobald mein Konto wieder gedeckt ist, bezahle ich einem Mädchen in Kamerun ein Jahr Schule. Eine Freundin ist aus Kamerun und hat gerade erst einen Container voller Nähmaschinen und Zubehör dorthin geschickt. Ihre Großmutter hat dort vor vielen Jahen eine Näh-und Hauswirtschaftsschule gegründet, in der Mädchen lesen, schreiben und einen Beruf lernen können, alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Lebensweg. (www.zutua.org). Da weiß ich, wo ich dran bin. Und wenn es denn doch mal Gambia sein soll, dann wende ich mich an www.schulpaten-gambia.de. Und vielleicht fällt mir auch noch was ein, wie ich es den Rumäninnen erleichtern kann, ein Weg, der die Bandenmacht bricht.

Helfen ist gar nicht so einfach. Aber das heißt nicht, dass ich es deshalb lasse.

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